Freitag, 29. März 2024

Rottweiler „Völkerwanderung“ in die USA

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Ungebremst von den Corona-Wirren hat der frühere Stadtarchivar Dr. Winfried Hecht 2020 wieder wichtige Beiträge zur Rottweiler Stadtgeschichte veröffentlicht. Allein im letzten Quartal kamen zwei Schriften zu Zünften sowie eine zum Thema Auswanderung hinzu.

Ab Mitte der 1840er Jahre wurde Auswanderung in die USA zu einem Massenphänomen – zeitweise stellten die Deutschen die Spitzengruppe der Neuankömmlinge. Auch Rottweiler zog es, wie Hecht gewohnt kundig zeigt, dorthin – weit mehr als etwa in die Schweiz oder nach Südamerika. 644 der registrierten 810 Auswanderer aus der Stadt zwischen 1803 und 1914 suchten in den Vereinigten Staaten eine bessere Zukunft. Viele weitere tauchten nie in einer Statistik auf.

1854 war in der „Rottweiler Chronik“ von einer regelrechten „Völkerwanderung“ die Rede, als an die 40 meist junge Leute „den Wanderstab nach Amerika ergriffen“. Binnen weniger Jahre zog es acht Prozent der Stadtbevölkerung in die Ferne, wobei die Zahlen auch im Bezirk Rottweil hoch waren. Meist gingen Landwirte und Handwerker.

Treiber waren wirtschaftliche Not, die gescheiterte Revolution 1848/49, aber auch Werbung. So zeigt Hecht, dass der Neukircher Bäcker und Bierbrauer Bernhard Mager 1839 in die USA reiste und nach seiner Rückkehr 1845 als „Kreuz“-Wirt Anzeigen für Überfahrten schaltete. Später boten regelrechte Agenturen ihre Dienste an, etwa die im „Goldenen Becher“ ansässige Agentur A. Bernheim.

Anzeige für Auswanderungswillige. Vorlage: Stadtarchiv Rottweil

Hecht schildert viel Interessantes über die Überfahrt, das Heimweh und die Lebensverhältnisse der Ankömmlinge. Nicht allen erging es gut, aber viele konnten sich mit Fleiß und Glück eine Existenz aufbauen, wobei ein deutsch geprägtes Vereinsleben half, Heimweh zu verarbeiten.

Als spätes Beispiel nennt Hecht Victor Balluff (1905-1986), der in Chicago und Detroit schwäbische Männerchöre leitete und es 1974 zum „German-American oft the Year“ brachte. Andere kehrten sogar in die schwäbische Heimat zurück, etwa der Tapeziermeister Otto Wolf (1869-1951), der 1919 den Text zum Narrenmarsch verfasste.

Mit großem Gewinn zu lesen sind neben der Schrift zur Auswanderung auch zwei Darstellungen zur Geschichte von Rottweiler Zünften, denen Winfried Hecht einer nach der anderen ihre stolze Vergangenheit ins Stammbuch schreibt. Bei den Rottweiler Malern kann er etwa auf den um 1400 geborenen Konrad Witz verweisen – womit bereits die ganze Spanne bis zu künstlerischer Meisterschaft aufgezeigt ist.

An den Malern kann Hecht zudem zeigen, wie 1905/1906 eine Neugründung gelang und sich immer wieder Traditionsbewusstsein und neue Impulse günstig verbinden – so etwa durch eine zeitgenössische Zunftfahne aus der Hand von Tobias Kammerer oder die Öffnung der Zunft für Frauen.

Ein Gegenbeispiel bietet die Tucherzunft, die im 19. Jahrhundert erlosch und nicht neu belebt wurde. Aber auch aus ihrer Geschichte erfährt man viel Wissenswertes über die wechselvolle Rottweiler Historie.

Info: Alle drei neueren Schriften von Winfried Hecht sind im Buchhandel erhältlich.

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