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Unter Alkoholeinwirkung „enthemmt und erheblich gewalttätig“

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ROTTWEIL. In Deutschland hat jeder Mensch Rechte. Auch ein mehrfach vorbestrafter Gewalttäter, ein unter Alkohol enthemmter Schläger, der aus dem Nichts Leute angreift. Frisch verurteilt, war er, ein Deutscher namens Dennis L., unter anderem mit dem Strafmaß nicht einverstanden. Deshalb kommt es nun vor dem Landgericht Rottweil zu einem Berufungsverfahren. Wie manches seiner Opfer aber kam auch dieser Prozess gleich zu Anfang massiv ins Straucheln.

Er ist ein Mann, der durch die Flure des Gerichtsgebäudes schreitet. Körpermitte voran. Ein Mann, der geht wie der Rächer der Enterbten, der Retter der Witwen und Waisen. Freilich, ohne Robin Hoods hehre Ziele zu verfolgen, mehr so seine eigenen. Und zudem gefesselt an Händen und Füßen. Aber scherzend mit den Justizbeamten, die ihn bewachen, drei an der Zahl sind eng an ihm dran. Weitere folgen mit etwas Abstand.

Schirmen den Verhandlungssaal ab, Besucher wurden kontrolliert: Justizbeamte in Rottweil. Foto: Peter Arnegger

30 Lenze zählt Dennis L., und er hat einiges auf dem breiten Buckel, auf dem Kerbholz. Und in Akten angelegt: Mehr als 2000 Seiten soll allein die Staatsanwaltschaft Rottweil für die nun anhängigen Verfahren über ihn führen. Dennis L. ist bisher keine Stütze der Gesellschaft, so viel steht fest. Vielmehr hat er in seinem Leben Menschen geschlagen, verletzt, beraubt. Und einen damals 33-jährigen Wohnsitzlosen am Ende vielleicht sogar getötet.

Das war am Abend des 5. August 2021 im Rottweiler Stadtgraben. Aus „nicht näher bekannten Gründen“ soll Dennis L. den 33-Jährigen damals mehrfach mit der Faust gegen den Kopf geschlagen haben. Dann soll er sich das Handy des Opfers, ein eher günstiges Teil, geschnappt haben und abgehauen sein. In der Stadt erzählt man sich, dass ein Augenzeuge – ebenfalls ein Mann aus der Obdachlosenszene – noch habe Schlimmeres verhindern können. Nur vorübergehend, denn das Opfer des Angriffs verstarb elf Tage später im Krankenhaus.

Bislang ist Dennis L. nicht für die Tötung des 33-Jährigen belangt worden. Das Amtsgericht urteilte im April 2022, dass man nicht habe feststellen können, wodurch der Tod des Mannes tatsächlich verursacht worden sei. So habe das Opfer damals wegen seiner Verletzungen nicht mehr in die Obdachlosenunterkunft „Spittelmühle“ im Neckartal zurückkehren können, habe die Nacht im Freien, an der Konzertmuschel im Stadtgraben verbringen müssen. Doch sei der 33-Jährige dort mehrfach ohne Fremdeinwirkung gestürzt, habe sich dadurch selbst erheblich verletzt, etwa die Nase gebrochen.

Dennoch ging Dennis L. in Berufung. Auf diesen Fall bezogen will er einen Freispruch erreichen, wie sein Anwalt, ein Pflichtverteidiger, am Dienstag erklärte.

In anderen Fällen richtet sich die Berufung nur gegen das jeweils verhängte Strafmaß. Juristisch ist das ein ziemliches Gefecht aus verbundenen und parallel geführten, aus zur Haupt- und zur Nebensache erklärten Verfahren. Zehn Straftaten, die zu zwei Gesamtstrafen führten. Teilweise sind sie verbüßt. Einem Krimiautor würde man dieses Gewirr nicht abnehmen. Insgesamt wurde der Mann verurteilt zu zwei Freiheitsstrafen von einmal 14 Monaten und einmal zwei Jahren und sieben Monaten.

Einerseits ist es teils nicht zu schweren Verletzungen gekommen. Andererseits erfolgten die Angriffe oft ansatzlos, aus dem Nichts, unvorhersehbar für seine Opfer. Und er ist erheblich einschlägig vorbestraft. Zudem sind einige Geldstrafen noch offen. Zwischen diesen Polen hat das Gericht im April seine Urteile angesiedelt. Was Dennis L. vor allem angelastet wurde: Er zeigt bislang laut Urteil keine Bereitschaft, sich seinem Alkoholproblem zu stellen. „Therapien lehnt er kategorisch ab. Er reagiert auf entsprechende Vorschläge gereizt und ungehalten“, so die Vorsitzende Richterin im Berufungsverfahren.

Die Taten, neben der, die im Stadtgraben passierte und gegen die er sich wehrt: ein Angriff auf Jugendliche vor einem Einkaufsmarkt in Rottweil, ein weiterer Angriff auf ein Stadtjugendringmitglied am Kriegsdamm, ein Angriff auf eine Frau, an deren Likörflasche er herankommen wollte, ein Angriff auf einen Autofahrer in der Schramberger Straße, ein Angriff auf einen Mann in einer Gaststätte in der Flötlinstorstraße, ein Angriff gegen ein Pärchen bei der Stadthalle.

„Soll ich Dir ’ne Kugel in den Kopf jagen?“, soll er die Frau des Pärchens angeschrien haben. „Du brauchst gar nicht meinen, die 110 zu wählen“. Das Paar wird völlig eingeschüchtert. Mit erhobener Eisenstange kommt er auf sie zu. Um dann abzudrehen und seiner Wege zu gehen. Der Angriff kam aus dem Nichts, wie alle anderen auch. Er war wohl jedes Mal betrunken. Weil aber an Alkohol gewöhnt, ging das Gericht bisher davon aus, dass er noch wusste, was er tat.

Gegen all diese Taten wehrt sich Dennis L. in der Sache nicht. Bloß das Strafmaß will er senken. Und nur die Geschichte im Stadtgraben, die will er neu aufgerollt wissen. Das kann für ihn auch nach hinten losgehen: So hat die Vorsitzende Richterin am Dienstag angekündigt, nun auch Unterlagen wie CT-Aufnahmen aus der Klinik anfordern zu wollen, in die das verstorbene Opfer eingeliefert worden ist. Es könnte also doch Totschlag im Raum stehen. Die Richterin möchte zudem das Beweisprogramm erweitern – um Zeugen, etwa Polizisten, denen der 30-Jährige etwas zu der Tat im Stadtgraben gesagt haben soll. Mit denen er darüber geredet haben soll, dass er verdächtigt werde, „jemanden totgeschlagen zu haben.“

Allerdings wird das noch dauern. Denn an diesem Dienstagmorgen konnte die Beweisaufnahme nicht eröffnet werden. Weder die rechtsmedizinische noch der psychiatrische Sachverständige waren anwesend. Letzterer ist schwer erkrankt, liegt, wie die Richterin mitteilte, auf einer Intensivstation. Nun wird Ersatz gesucht.

Der „Civilkammer-Saal“ im Rottweiler Gerichtsgebäude. Foto: Peter Arnegger

Hellgrauer Jogginganzug, massiger Körper, zurück gegeltes Haar, Vollbart, Gesichtstattoos und welche an den Händen. So saß Dennis L. an diesem Morgen in Saal 114, dem „Civilkammer-Saal“ des Rottweiler Gerichtsgebäudes. Er atmete tief durch. Wirkte schlecht gelaunt. Latent genervt. Die Hände hatte er vor dem Körper, auf der Anklagebank verschränkt. Er schloss sich mit seinem Verteidiger kurz, witzelte mit den Justizbeamten herum. Einer von diesen fühlte sich derweil dazu berufen, die Presse am Fotografieren zu hindern, auf die Persönlichkeitsrechte seines Schützlings zu achten. Ja, in Deutschland hat jeder Mensch Rechte.

Ein ganzer Mannschaftswagen mit Wachleuten war für den Schläger da. Sie brachten ihn nach rund einstündiger Verhandlungsdauer – von der eine halbe Stunde auf die knappe Verlesung seiner bereits abgeurteilten Straftaten draufging – wieder weg. Richtung Stuttgart-Stammheim.

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Peter Arnegger (gg)
Peter Arnegger (gg)https://www.nrwz.de
... ist seit gut 25 Jahren Journalist. Mehr über ihn hier.