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Verkehrsversuch in Rottweil: Harsche Kritik am Vorgehen der Stadtverwaltung

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In Rottweil gibt es offenbar auch einige Menschen, die den Verkehrsversuch 2023 positiv wahrgenommen haben und die Verwaltung jetzt scharf kritisieren. Insbesondere das Fazit deren Beschlussvorschlags, „die Bürgerschaft steht dem Abschaffen der bestehenden Gegenverkehrslösung auf dem Friedrichsplatz ablehnend gegenüber“, wird für nicht nachvollziehbar gehalten und beruhe auf keiner repräsentativen Umfrage, heißt es.

Rottweil – Auf diese Weise, in einem offenen Brief, reagieren das Rottweiler Bürgerforum, der Arbeitskreis Radkultur der Lokalen Agenda 21, der ADFC Kreisverband Rottweil und Mitglieder der AG Mobilität. Vor der entscheidenden Gemeinderatssitzung wollen sie auf ihre Belange und Sicht der Dinge hinweisen.

Fahrt durch die Stadt statt über die Umgehung

Zunächst: „Die Bürgerschaft steht dem Abschaffen der bestehenden Gegenverkehrslösung auf dem Friedrichsplatz ablehnend gegenüber.“ Dieses Fazit zieht die Stadtverwaltung nach einem Verkehrsversuch, der einen Ring um die Innenstadt zu ziehen versuchte, bei dem mit Einbahnstraßenregelungen gearbeitet wurde und Verkehre verlagert werden sollten. „Das Hauptargument, das sich sowohl in den Umfragen, als auch Rückmeldungen und den Social Media-Portalen immer wieder findet, ist: ‚Ich muss Umwege fahren.'“ Das hat die Verwaltung wahrgenommen. Weiter heißt es: „Dass eine Umgehungsstraße für eine Entlastung der Innenstadt eingerichtet wurde, wird größtenteils nicht angenommen. Und das, obwohl mehrfache Messungen gezeigt haben, dass eine Fahrt vom Nägelesgraben zur Saline über die Umgehungsstraße zwar fünf Kilometer länger ist, aber dieselbe Zeit benötigt wie ein Stop-and-Go durch die Innenstadt.“ Die Autofahrerinnen und Autofahrer also bleiben bei ihren gewohnten Routen.

Und auch wenn Messungen gezeigt hätten, dass die Mehrbelastungen in den Ausweichrouten wie die Tann- und die Marxstraße „verträglich abzuwickeln wären“, so die Stadt, sei die Bereitschaft der Anwohner und Bürger gering, dies zugunsten einer Entlastung der historischen Innenstadt in Kauf zu nehmen.

Zudem verträten die Händlerinnen und Händler, organisiert im GHV, die Meinung, dass der Verkehr sowohl im Bereich Waldtorstraße, als auch am Friedrichsplatz in beide Richtungen fließen müsse. „Die weitergehende Forderung aus Teilen der Bürgerschaft betreffend eine gänzliche Sperrung des Durchgangsverkehres mit der Zielsetzung einer autofreien Innenstadt ist damit aktuell von den meisten Bürgern nicht gewünscht“, sagt die Stadt.

Offenes Hintertürchen

Und doch lässt sie sich ein Hintertürchen offen: „Eine abschließende, endgültige Ablehnung von Verkehrsreduzierungen sollte daraus trotzdem nicht abgeleitet werden, da der Verkehrsversuch nicht die derzeitigen, bereits beschlossenen beziehungsweise geplanten Bausteine berücksichtigen bzw. darstellen konnte“, heißt es in der Vorlage an den Gemeinderat. Der Verkehrsversuch habe gezeigt, dass die verkehrlichen Prognosen sehr gut getroffen worden seien. Ebenfalls sei wahrgenommen worden, dass die Bürgerschaft zusätzlich zu den flankierenden Maßnahmen im Bereich Mobilität, aktuell keinen Einbahnverkehr und die daran resultierenden Umwege für eine Verkehrsreduzierung möchte. 

Das Thema entzweit. Schon Grüne und SPD/FFR zeigten sich zuletzt „gefrustet, dass nach all dem finanziellen, organisatorischen, kommunikativen und menschlichen Riesenaufwand letztlich alles wieder auf null gestellt wird.“ Die FDP-Fraktion im Stadtrat Rottweil fordert zunächst einen weiteren Umbau des Rottweiler Friedrichsplatzes, bevor dort wieder Einbahnverkehr eingeführt wird. Unter diesen Rahmenbedingungen hat der UBV-Ausschuss des Gemeinderats mit Mehrheit aus CDU, Freien Wählern, OB und FDP beschlossen, den Gegenverkehr am Friedrichsplatz erst mal zu belassen. Den endgültigen Beschluss fasst aber das Plenum des Rats am heutigen Mittwoch.

„Stadtverwaltung schleicht sich raus“

Vor dieser Sitzung melden sich einige Bürgerinnen und Bürger zu Wort, die erklären, die „Stadtverwaltung schleicht sich aus Verkehrsversuch“. Nach ihrer Rechnung müsse die Rottweiler Innenstadt weiterhin knapp 14.000 Autos täglich ertragen. Zudem gebe es “ – „keine faktenbasierte Beschlussvorlage der Stadtverwaltung für den Gemeinderat.“ Und: Die Stadtverwaltung ignoriere die Empfehlung eines engagierten Verkehrsplaners, es fehle eine konkrete Planung, wie und wann der innerstädtische Verkehr reduziert wird. Außerdem werde es ohne eine Weiterführung des Verkehrsversuches eine zunehmende Verschlechterung der innenstädtischen Aufenthaltsqualität über die Landesgartenschau hinweg geben.

Diese deutlich formulierte Stellungnahme wird unterstützt von dem Bürgerforum, AK Radkultur der Lokalen Agenda 21, ADFC Kreisverband Rottweil und folgenden Mitgliedern der AG Mobilität; Felicitas Bott, Thomas Schlipf und Henry Rauner. „Wir sind von der Vorlage des Gemeinderats und der Entscheidung des UBVs letzte Woche zum Thema Verkehrsversuch schockiert und entschieden dagegen“, erklären sie. Vereine und Institutionen würden eine Weiterführung des Verkehrsversuches als dringende Notwendigkeit sehen, um der weiteren Verschlechterung der Aufenthaltsqualität in der Rottweiler Innenstadt entgegenzuwirken.

Sie werden noch deutlicher:

Die Kommunikation und der nachträgliche Umgang mit dem Verkehrsversuch basieren weder auf messbare Fakten, noch reflektieren sie die Konsequenzen für die Entwicklung der Innenstadt. Mit dieser wachsweichen Vorlage, versucht sich die Stadtverwaltung aus jeder möglichen Auseinandersetzung um die Zukunft der Stadt zu schleichen und drückt sich vor der Verantwortung die Zukunft der Stadt zu gestalten. Die Idee einer lebenswerten Innenstadt von Rottweil mit verträglicher Mobilität und somit weniger Lärm und mehr Sicherheit für Fuß- und Radverkehr konnte während des Verkehrsversuchs in Teilen erlebt werden. Scheint jetzt aber nicht mehr so wichtig und weiter verfolgenswert zu sein. Der diffuse Gegenwind hat mehr Effekt als die schiere Notwendigkeit, das Verkehrschaos der Stadt in erträgliche Bahnen zu lenken. Diese Beschlussvorlage basiert auf einzelnen Meinungen, Angst vor negativer Presse, und nicht repräsentativen Umfragen. Dafür fehlen fachlichen Auswertungen oder werden schlicht ignoriert. Die aufwändig erhobenen und im Voraus geforderten Zahlen und Fakten ordnen den Versuch als Erfolg ein und empfehlen eine verkehrliche Weiterentwicklung in diese Richtung.

Bürgerliche Stellungnahme

Dagegen habe der Verkehrsversuch eine Entwicklung in die richtige Richtung gezeigt: Die öffentlich formulierten Ziele der Stadtverwaltung und der Politik hinsichtlich des Verkehrsversuches seien trotz teils nicht realisierter Begleitmaßnahmen erreicht worden, so das Urteil. Der Pkw-Verkehr habe reduziert, die Aufenthaltsqualität partiell erhöht, der Radverkehr gesteigert werden können. Es seien keine Überlastungen entstanden – was Anwohner der Marxstraße seinerzeit anders wahrgenommen haben.

„Intransparente Entscheidungsprozesse“

Jetzt aber werde die Entscheidung auf Grundlage der fehlenden Akzeptanz Einzelner getroffen. „Diese intransparenten Entscheidungsprozesse und der damit einhergehende unverbindliche Umgang mit der Einschätzung und dem Engagement ehrenamtlicher Gruppierungen bremst dieses Engagement systematisch aus“, so die Unterzeichnenden des offenen Briefs. „Wir fordern Politik und Stadtverwaltung auf, ihrer Verantwortung im Sinne des Gemeinwohls nachzukommen und die langfristige Entwicklung der Stadt mit lebendigen, attraktiven Quartieren für Dienstleistung, Wohnen, Freizeit und Tourismus weiterzuverfolgen“, schreiben sie und zitieren aus einem Erläuterungsbericht Verkehrsversuch.

„Im Konkreten“ stellen sie die Frage: Stellt die Stadtverwaltung die grundsätzliche Richtung einer schrittweisen Verkehrsberuhigung zugunsten einer lebenswerten Stadt infrage? Wenn dies nicht der Fall ist, fordern wir einen klaren Zeitplan, bis wann dieses Ziel mit welchen Maßnahmen erreicht werden soll. Die Erkenntnisse des Versuchs müssen zu einer Weiterentwicklung mit transparenten Entscheidungskriterien führen.

Einzelhändler: Leute wollen bei gewohntem bleiben

Ganz im Gegensatz dazu steht weiterhin die Einschätzung von Einzelhändlerinnen und -händlern in der Stadt. GHV-Vorstandsmitglied Tobias Rützel bringt es in einer Diskussion zum Thema auf der NRWZ-Facebookseite so auf den Punkt: „Die eigenen Befindlichkeiten veranlassen die Leute … in die Stadt zu kommen, oder eben nicht. Hier hat sich eine große Mehrheit dafür ausgesprochen, dass sie es gerne wie gewohnt tun würden.“ Also auf einem in beiden Richtungen freigegebenen Friedrichsplatz.

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Peter Arnegger (gg)
Peter Arnegger (gg)https://www.nrwz.de
... ist seit gut 25 Jahren Journalist. Mehr über ihn hier.

3 Kommentare

  1. Wenn schon am Wochenende der Friedrichsplatz gesperrt werden soll, dann bitte schön auch für die Busse. Ebenfalls könnte man in diesem Zuge auch gleich die untere Hauptstraße sowie die Hochbrücktorstraße sperren. Dann sind wir in der Stadt in die Zeit zurückversetzt als es noch keine Autos gab.

  2. Es ist somit zu konstatieren: Mit den genannten Institutionen (Bürgerforum, ADFC, etc.) und der AG Mobilität melden sich (lediglich) "… einige Bürgerinnen und Bürger zu Wort …", deren "Neutralität" im Hinblick auf die Interessen des motorisierten Individualverkehrs m.E. deutlich in Frage zu stellen sein dürfte. Es gab und gibt eben auch viele Bürgerinnen/Bürger, die exakt die gegenteilige Meinung vertreten und "entschieden dagegen sind" eine wie auch immer geartete Umsetzung des Verkehrsversuchs mit zu tragen. Dies sollte einfach auch zur Kenntnis genommen werden!
    Ebenso wird – leider nicht nur – von diesen Rad-Lobbyisten ignoriert, dass ganze Stadtbezirke insbesondere nördlich der Kernstadt massive Umwege fahren müssen um dann in die Innenstadt zu gelangen und dort ihre Erledigungen zu tätigen. Dieselben "Gutmenschen" der genannten Rad-Interessensvertretungen treten regelmäßig gleichermaßen für Umweltschutz und gegen Klimawandel ein, wobei ich mich frage, warum hier der mit der Sperrung der Innenstadt einhergehende erhöhte CO2-Ausstoß plötzlich gar keine Rolle mehr zu spielen scheint.
    Und Übrigens: Der Fingerzeig der von diesen Rad-Befürwortern so benannten "Radverweigerer" geht insoweit fehl, als dass es in unserer zunehmend älter werdenden Gesellschaft auch nicht wenige Menschen gibt, die aufgrund körperlicher Einschränkungen keine Fahrrad (auch kein E-Bike) nutzen können oder auch schlicht nicht wollen. Diese Personen werden zunehmend mehr!

  3. Eieiei, was ist auch los? Die nächsten Geier, die Blut geleckt haben. Die Ergebnisse sind MEHR als eindeutig. Aber man will es einfach nicht wahrhaben.

    Wahrheit ist es nur, wenn es meine ist.

    Und dem schönen Henry wird es auch etwas zu wohl. Hat sich wohl zu viel davon versprochen, den Christian erfolgreich aufs OB-Amt zu intrigieren. Und nun will der frecherweise gar keine Henry-Marionette sein und nicht so tanzen, wie Henrys Pfeife bläst.

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