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„Demokratie lebt vom Mitmachen“

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Schramberg.  Seit bald zwei Wochen kursiert das Foto eines Protestplakats in Sulgen in einem Telegramkanal von Rottweilern, die in der Vergangenheit zu Coronaprotesten aufgerufen haben und immer noch aufrufen.

Eingerahmt von sechs Deutschlandfähnchen steht da: „Wir brauchen Widerstand“. Darunter heißt es, man könne „die Ausblutung unseres hart erkämpften Wohlstands unsrer Bildung und Gesundheit nicht mehr hinnehmen“. „Diese Regierung“ sei „absolut nicht mehr (er)tragbar“. Realitätsferne und inkompetente Politiker trieben „unser Vaterland“ in den Ruin. Schließlich fordern die 27 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner: „Verschafft eurem Unmut Ausdruck.“

Was ihnen konkret so unerträglich ist, bleibt bei dem Plakat offen. Die Mehrzahl der auf dem Transparent genannten Personen stammt vom Sulgen, etwa ein Drittel nicht aus Schramberg. Initiiert hat die Aktion der Sulgener Bauunternehmer Oliver Haas. Auf dessen Gelände an der Max-Planck-Straße in Sulgen hängt das Plakat nun an einem Bauzaun.

Die NRWZ hat die in Schramberg aktiven Parteien und politischen Gruppierungen gefragt, wie sie mit dieser Kritik umgehen wollen. Bis zum Abend haben uns diese Stellungnahmen erreicht, weitere werden wir nachtragen.

Engagiert Euch

Für die Grünen antwortet Sonja Rajsp-Lauer vom Kreisvorstand. Sie wundere sich, denn es würde doch landauf, landab debattiert. In den Parlamenten und Räten würden Lösungen gesucht. „Leider ist das nicht so einfach, wie es sich manchmal am Stammtisch anfühlt – es gibt überall Zielkonflikte.“ Dass auf dem Plakat „Wir brauchen Widerstand!“ stehe, finde sie “gruselig – es erinnert stark an Donald Trumps Aufruf zum Widerstand und die Erstürmung des Kapitols“.

Rajsp-Lauer bedauert auch, dass auf dem Plakat keine Lösungsvorschläge oder Ideen zu finden seien. Statt pauschal von Widerstand zu reden, fordert sie die Unterzeichner auf, sich zu engagieren. „Es gibt Kommunalwahlen, Landtagswahlen, Bundestagswahlen und Europaparlamentswahlen – lassen Sie sich auf die Liste einer demokratischen Partei setzen und versuchen Sie, sachlich mit an Lösungen zu arbeiten.“

Überhaupt wünsche sie sich weniger Emotionalität und mehr Sachlichkeit in den Diskussionen. Ein nach einer sachlich geführten Diskussion gefundener Kompromiss könne von allen getragen werden, und sei der Weg für ein gutes Miteinander, so die Grüne Politikerin aus Lauterbach.

Bei uns ist Kritik kein Problem

Für den SPD-Ortsverein schreibt der Vorsitzende Mirko Witkowski: „Ich freue mich, wenn sich Bürgerinnen und Bürger auf unterschiedlichste Weise an gesellschaftlichen Debatten beteiligen. Das zeigt, dass Deutschland eine lebendige funktionierende Demokratie ist. Jeder darf seine Meinung frei äußern.“ Kritik sei bei uns – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern – problemlos möglich. „Wenn das Ziel der Plakataktion ist, im wahrsten Sinne plakativ eine Debatte anzustoßen, kann ein solches Plakat ein Anfang sein. Leider erinnert das Plakat jedoch an die Wortwahl einer Rechtsaußenpartei.“

Die geäußerte Kritik sei allerdings sehr allgemein gehalten. Witkowski hat den Eindruck, es werde zwar allgemeiner Unmut zum Ausdruck gebracht, die Unterzeichner wüssten aber selbst nicht, wogegen sie eigentlich genau sind.

„Wünschen würde ich mir einen respektvolleren Umgang, was die Kritik an handelnden Personen in der Politik anbetrifft.“ Er frage sich, warum die 27 Unterzeichner nicht auf die örtlichen Abgeordneten zugegangen sind und das Gespräch gesucht haben. Er lade sie als ehrenamtlich aktiver politischer Mensch zum Gespräch ein. „Gerne dürfen die Unterzeichner ihrem Unmut mir gegenüber im direkten Gespräch Ausdruck verschaffen.“ Witkowski schließt: „Unsere Demokratie lebt vom Mitmachen.“

Fehlentwicklungen benennen und nach Lösungen suchen

Der Vorsitzende der Buntspechte Schramberg Gunnar Link weist darauf hin, die Buntspechte seien eine  heterogene Gruppe, er könne deshalb nur seine persönliche Meinung dazu sagen. „Grundsätzlich sehe ich die freie Meinungsäußerung als sehr hohes Gut unserer Demokratie an. Vor diesem Hintergrund halte er das Plakat, mit Ausnahme des ersten Satzes, für tolerabel.

„Wir brauchen Widerstand!“, sei ein radikaler Satz, so Link. Vor allem, wenn, wie hier, ein Widerstand gegen die eigene Bundesregierung gemeint sei. „Widerrede“ wäre ein passender Ausdruck, der zu einem politischen Diskurs gehöre, so Link.

„Die Aussage des Plakats ist leider sehr unkonkret. Emotional und äußerst zugespitzt wurde einem Unmut über die Bundesregierung Ausdruck verliehen, was OK, aber wenig zielführend ist. Ich kann nur empfehlen, Fehlentwicklungen konkret zu benennen und nach besseren Wegen und Lösungen zu suchen.“ Sprachrohr könnten zum Beispiel Parteien, Organisationen oder Interessenverbände sein. Auch gebe es das Petitionsrecht, erklärt der Buntspecht-Vorsitzende abschließend.

Kritik muss konkret sein, um zu Verbesserungen zu kommen

Für den FDP Ortsverein hat Denis Bendigkeit erklärt, das Plakat sei  „ein Rundumschlag gegen die Politik im Allgemeinen. Offensichtlich gelingt es der Politik und den Parteien in unserem Land nicht mehr, diese Menschen mit Botschaften zu erreichen.“

Erfolge und politische Entscheidungen müssten öffentlich platziert werden. Gleichzeitig müsse Kritik konkret sein, nur dann kann es zu Verbesserungen kommen. „Die Einigung beim Heizungs-Gesetz zeigt doch, wie durch die Mitwirkung der Abgeordneten und Parteien aus einem völlig abwegigen Vorhaben nun ein vernünftiges und realitätsnahes Gesetz geworden ist.“

Bendigkeit schließt: „Dass in 16 Jahren CDU-Regierung eine Rentenreform verschlafen wurde, die Infrastruktur verkommen ist, die Grenzen aufgemacht wurden und eine einseitige Abhängigkeit unserer Wirtschaft von Energie aus Russland und Rohstoffen und Vorprodukten aus China entstanden ist, ist kein Versäumnis der Ampel.“

Aus einer Maus keinen Elefanten machen

Für die Freie Liste schreibt deren Sprecher im Gemeinderat Udo Neudeck, einer seiner Lebensgrundsätze sei Toleranz: „Das sollte auch für Andersdenkende, die nicht mit dem Mainstream mitschwimmen, gelten.“ Er frage sich allerdings, ob „jede Äußerung, sei sie auch noch so kritisch, kommentiert und wichtig gemacht werden“ müsse.

Und weiter: „Was steht denn da: Ein paar Bürger sind mit den jetzigen Politikern nicht zufrieden. Ist das tatsächlich eine Zeitungsmeldung wert?“ Man möge „aus einer Mücke keinen Elefanten“ machen, bittet Neudeck.

Offen für Beteiligung

Der Vorsitzende der CDU in Schramberg Dominik Dieterle schreibt:  „Wir können die Kritik, insbesondere die an der aktuellen Bundesregierung, verstehen und nachvollziehen. Die aktuellen Gesetzesentwürfe und deren Kommunikation überrumpeln unsere Bürgerinnen und Bürger.“ In Krisenzeiten wie diesen müssten sie mitgenommen werden.

Mit einer Plakataufstellung und der gewählten Wortwahl allein sei es aber nicht getan, so Dieterle. „In einer Demokratie braucht es Engagement, Kompromisse und sachliche Argumente für eine faire Diskussion. Wir wünschen uns darüber hinaus konkrete Verbesserungsvorschläge.“  Ebenso seien alle angehalten, sich in politischen Gruppierungen und Parteien zu engagieren. Das gelte sowohl innerhalb der Parteien als auch für eine Kandidatur bei der Kommunalwahl 2024. Dieterle schließt: „Die CDU Schramberg ist offen für Beteiligung.“

Inhaltslos

Am Donnerstag hat sich für die ÖDP Stadtrat Thomas Koch mit einer Stellungnahme gemeldet: „Auch wenn die AfD Nähe nicht zugegeben wird, ist der Sprech doch ähnlich populistisch und wenig differenziert“, schreibt er. Die Kritik sei wenig konkret, einfach allgemeines Politikerbashing. Auch was die Kritikpunkte angehe, höre man das auch von der AfD. Die lieferten auf komplexe Fragestellungen und Probleme, einfache Antworten, die trotzdem falsch seien.
„Aber wir haben ja Meinungsfreiheit. Wer was verändern möchte, soll sich halt einbringen und aktiv werden und konstruktive Vorschläge machen und nicht nur meckern. Dass unser Wohlstand verloren geht, stimmt so ja auch nicht. Was den Begriff Nationalstolz angeht, habe ich auch so meine Schwierigkeiten, wenn er so inhaltslos daher kommt. Auf was ist man denn da stolz?“, fragt Koch abschließend.

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Martin Himmelheber (him)
Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.