Freitag, 29. März 2024

Die Kultur in der Corona-Krise: Bis Ostern täglich Musik aus der Predigerkirche

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Rottweil – Die Corona-Pandemie erschüttert auch das kulturelle Leben. Was bedeutet das für die Betroffenen in der Region? Wie gehen sie damit um? Diesen Fragen geht die NRWZ in der Serie „Die Kultur und die Corona-Krise“ nach. Im dritten Beitrag schildert Johannes Vöhringer, als Kirchenmusikdirektor für die Musik an der Predigerkirche verantwortlich, was eine Karwoche ohne die geplanten Feiern bedeutet – und wie er gut durch diese schwierige Zeit kommt.

NRWZ: Herr Vöhringer, die Karwoche beginnt, die an sich liturgisch und musikalisch intensivste Phase des Kirchenjahrs, und es wird keinen einzigen Gottesdienst geben – was macht diese Aussicht mit Ihnen?

Johannes Vöhringer: Es ist schon ein sehr komisches Gefühl, wenn ein wesentlicher Teil der Arbeit wegfällt. Es gibt natürlich trotzdem Gottesdienste. Die Pfarrer haben sehr schöne Andachten mit von mir eingespielten Liedern auf die Homepage gestellt. Täglich um 19 Uhr kann man auch eine kleine Andacht mit Gebeten und Liedern zu Hause halten und weiß sich dabei verbunden mit anderen Christen. Ich bin aber heilfroh, dass ich dieses Jahr nicht auch noch eine große Oratorienaufführung geplant habe. Zwei Passionsmusiken mussten allerdings storniert werden, ein Konzert mit der Orgelklasse der Musikhochschule Trossingen und das Konzert zur Todesstunde Jesu am Karfreitag Nachmittag, mit Chor, Instrumental- und Gesangssolisten.

NRWZ: Zu Beginn der Restriktionen hieß es, dass in der Karwoche jeden Tag die Fenster der Predigerkirche geöffnet werden und dann Orgel gespielt wird – kann das wirklich umgesetzt werden?

Johannes Vöhringer: Die Fenster der Kirche zum Friedrichsplatz hin zu öffnen ist kein Problem. Ich plane, täglich von 18.30 Uhr bis zum Abendläuten um 19 Uhr Uhr bei geöffneten Fenstern Orgel zu spielen.

NRWZ: Was planen Sie da? Einfach Trost und Erbauung spenden, oder gibt es Möglichkeiten, ausschließlich mit Orgelmusik durch die Dramaturgie der Kar- und Ostertage zu führen?

Johannes Vöhringer: Ich werde vorwiegend Choralbearbeitungen von Passionsliedern spielen, wie zum Beispiel die Stücke aus Johann Sebastian Bachs Orgelbüchlein. Für mich gibt es nichts Tröstlicheres als diese Musik, und auch für die Gemeinde ist es wichtig, vertraute Klänge, vertraute Lieder zu hören.

NRWZ: Normalerweise ist diese Woche auch eine dichte Zeit für die Chöre – haben die Sängerinnen und Sänger des Chors der Predigerkirche mittlerweile Entzugserscheinungen?

Johannes Vöhringer: Ja, ich denke, wir leiden alle unter dieser Situation. Die positiven Effekte des gemeinsamen Singens sind ja hinlänglich bekannt, und darüber hinaus fehlt uns auch der Kontakt mit lieben Menschen. Aber Singen ist ja nicht verboten und die Not macht erfinderisch.

NRWZ: Es finden ja nun schon seit drei Wochen keine Proben statt. Ein Chor ist ja nicht zuletzt eine Gemeinschaft – das fällt nun neben der Musik auch noch weg. Halten Sie Kontakt mit den Chormitgliedern oder herrscht jetzt einfach Sendepause?

Johannes Vöhringer:  Ja, ich halte natürlich Kontakt. Letzten Montag zum Probenbeginn um 20 Uhr gab es eine humorige, aufmunternde Mail. Ich schaue auch immer, wer gerade Geburtstag hat, und es gibt ja zum Glück auch immer noch die gute alte Post und das Telefon.

NRWZ: Wie ist es mit den anderen musikalischen Gruppen der evangelischen Gemeinden – sind die alle im „Schlummermodus“ oder proben die per Skype?

Johannes Vöhringer: Der Kinderchor hat eine Mail mit den Texten aller Lieder, die wir in letzter Zeit gesungen haben bekommen mit der freundlichen Bitte, dass die Eltern ihre Kinder ermuntern mögen, diese Lieder ihnen vorzusingen. Wir haben zum Glück schon vor Corona verschiedene Osterlieder einstudiert, weil am Ostersonntag ein großer Familiengottesdienst hätte gefeiert werden sollen. Zu Ostern gibt’s dann noch einen Extragruß per Mail mit beigefügter Audiodatei. Aber ich sehe natürlich die große Problematik bei manchen Familien mit Kindern, denen buchstäblich die Decke auf den Kopf fällt.

Der Posaunenchor ist am Ostersonntag in kleiner Besetzung mit Turmblasen „Christ ist erstanden“ unterwegs.

NRWZ: Können Sie dieser verrückten Zeit auch etwas abgewinnen – ist jetzt zum Beispiel die Möglichkeit, Pläne zu schmieden und Projekte vorzubereiten?

Johannes Vöhringer: Das Pläneschmieden läuft eigentlich auch sonst immer irgendwo im Hinterkopf mit. Aber ich genieße es durchaus, Zeit zu haben, um zum Beispiel den Chornotenschrank neu zu ordnen. Ansonsten werden zum Teil die Veranstaltungen, die eigentlich dieses Jahr hätten durchgeführt werden sollen, dann nächstes Jahr stattfinden. Es ist schwierig mit Pläneschmieden. Ich hatte vor Ausbruch der Krise gerade die acht Sommerkonzerte für 2020 unter Dach und Fach und weiß nun nicht, ob sie überhaupt alle stattfinden können.

NRWZ: Wie kommen Sie persönlich durch diese Zeit und woraus ziehen Sie Kraft?

Johannes Vöhringer: Ich komme sehr gut durch die Zeit. Ich übe sehr viel Orgel. Zum Teil Stücke, die ich während meines Studiums gespielt habe. Von meinem Tuttlinger Kollegen Helmut Brand habe ich gestern druckfrisch Orgelmeditationen zu den 11 Versen des 23. Psalms bekommen. Da freue ich mich drauf, die zu üben. Ansonsten jogge ich viel, fahre Fahrrad.

Mir tun aber viele Kulturschaffende leid, besonders auch diejenigen, die freiberuflich arbeiten. Ihnen brechen in dieser Zeit viele Auftritte und Einnahmen weg.

NRWZ: Welche Musik können Sie all denen empfehlen, die angesichts der Pandemie Angst haben oder von den Beschränkungen ausgelaugt sind?

Johannes Vöhringer: Auch wenn es etwas lapidar klingt: Musik, die einem gut tut! Vertrautes, und bei mir ist es durchaus auch Musik, die ich als Jugendlicher gerne gehört habe.

Die Fragen stellte unser Redakteur Andreas Linsenmann.

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