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Kunst als Tiefenbohrung:  Eva Schmeckenbecher bei der Hauser-Stiftung

Manche Themen scheinen weit weg – und sind doch erstaunlich nah, etwa die Dämonisierung von Frauen als „Hexen“. Eva Schmeckenbecher, seit Mitte April Artist-in-Residence der Kunststiftung Erich Hauser, bearbeitet dieses elend zeitlose Thema künstlerisch. Und zeigt, was es auch mit Rottweil zu tun hat. Ab 27. Juni kann man ihre Arbeiten entdecken.

Das Thema Frauen beschäftigt Schmeckenbecher, die an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart Malerei und Kunsterziehung studiert und sich später mit intermedialem Gestalten und Architektur auseinandergesetzt hat, schon länger. Davon zeugt etwa eine Video-Arbeit mit Kopfbedeckungen für Bäuerinnen – Hauben. Die 1977 in Tübingen geborene Künstlerin hat sie geerbt.

Als „herausfordernden Raum“ hat die Stipendiatin die riesige Werkhalle auf der Saline empfunden – sich davon aber nicht abschrecken lassen und sogar mit Hinterlassenschaften Erich Hausers gearbeitet. Foto: al

In einem Stop-Motion-Kurzfilm verleiht sie den museal anmutenden Familienstücken neues Leben – und führt dabei auf die Spur früherer Wirklichkeiten, in der eine Kopfbedeckung viel bedeuten konnte. Nicht von ungefähr war es wichtig, „unter die Haube“ zu kommen.

Der kurze, aus Einzelaufnahmen zusammengefügte, behutsame Streifen, zeigt viel von dem, was die Arbeit von Eva Schmeckenbecher auszeichnet: Sie hat einen feinen Blick auf Menschen und Dinge. Und gibt sich nicht mit dem ersten Anschein, mit Oberflächen, zufrieden. Sie gräbt nach dem Verborgenen. Legt die Schichten von Geschichte frei – auf der Suche nach dem Kern der Dinge. Den sie zum Sprechen bringen, mit dem sie eine Kommunikation ermöglichen will.

Dieses Prinzip hat Eva Schmeckenbecher im Rahmen ihres Präsenz-Stipendiums bei der Kunststiftung Erich Hauser auf ein vermeintlich fernes Feld übertragen: Hexenverfolgung. In Europa kam dieser Wahn, der überwiegend Frauen traf, in der Frühen Neuzeit nach zahllosen Opfern zu einem Ende. Aber in anderen Weltteilen, etwa in Afrika, werden Frauen bis heute unter dem Vorwurf der „Hexerei“ verfolgt und ermordet. Und auch in unseren Breiten gibt es täglich Femizide.

Eva Schmeckenbecher geht es darum, nicht an der Oberfläche stehen zu bleiben, sondern tiefer zu graben – im übertragenen Sinne und ganz konkret. Foto: al

Eva Schmeckenbecher setzt diese Gegenwart mit der leidvollen Geschichte in Europa in Verbindung. Sie hat fünf Orte historischer Hexenverfolgung aufgesucht: Zwei in Norwegen, Trondheim und Vardø, wo ein eindrucksvolles Denkmal des Schweizer Architekten Peter Zumthor an rund 100 Opfer erinnert, sowie in Nürnberg, Lüneburg – und in Rottweil.

„An den Hinrichtungsorten habe ich in der Erde gegraben, kleine Fundstücke zusammengetragen und daraus Videos gemacht“, erzählt Schmeckenbecher im Gespräch mit der NRWZ. Im Rottweiler Fall, wo 287 Hexenprozesse belegt sind, war nur eine Annäherung möglich, weil der wahrscheinliche Ort des Geschehens mittlerweile überbaut ist.

Aus vielen Schichten setzen sich die Eva Schmeckenbechers Druckstöcke zusammen. Foto: al

Neben den Videoarbeiten hat Schmeckenbecher zu jedem Ort auch einen Druckstock gefertigt. Ausgehend von Fotografien hat sie Elemente hinzugefügt, Ebenen auf- und abgetragen. Und so komplexe Bildsysteme geschaffen, die im Wortsinn „geschichtet“ sind – ähnlich wie die Geschichte der verfolgten Frauen und der Orte, die damit in Verbindung stehen.

Das Stipendium ermöglichte Experimente – hier einige Probedrucke. Foto: al

Ihre künstlerische Recherche, bei der sie sich auch selber in Beziehung zu den Orten setzt und eigene Wahrnehmungen und Träume einflicht, wird damit zu einer individuellen Tiefenbohrung. Die kreativen Ergebnisse sind erstaunlich: Anspielungsreich und regelrecht zärtlich ermöglichen sie neue, sinnliche Zugänge zu verschüttet geglaubten Zusammenhängen – und rücken diese trotz historischer Ferne berührend nah an den Betrachter heran.

Info: Die Ausstellung in der Werkhalle der Kunststiftung Erich Hauser auf der Rottweiler Saline wird am 26. Juni, 17 Uhr eröffnet. Sie ist bis 7. September zu sehen.




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