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„Aus Raub wird Nötigung: Erinnerungslücken vor Gericht“, Veröffentlicht: Dienstag, 8. September 2020, 15.14 Uhr

Aus Raub wird Nötigung: Erinnerungslücken vor Gericht

So konnte das nichts werden: Weil sich die zwei wichtigsten Zeugen in einem Verfahren, darunter der Anzeigeerstatter, partout nicht mehr erinnern konnten oder wollten, konnte das Rottweiler Amtsgericht einem jungen Schramberger am Montag keinen Raub nachweisen. Wohl aber Nötigung. Und eine brutale Körperverletzung. Das Urteil, eine Geldstrafe, ist rechtskräftig.

Mal Hand aufs Herz, liebe Cannabis-Konsumenten: Kann man mit Haschisch wirklich so prall werden, dass man sich später nicht mehr daran erinnert, überfallen und ausgeraubt worden zu sein? Dass man nicht mehr weiß, wann und warum man bei der Polizei gewesen ist und Anzeige erstattet hat? So prall nicht, oder? Das glaubten auch der Richter am Amtsgericht und die Staatsanwältin nicht. Dennoch konnten sie nichts machen.

Um den Fall zu erzählen, muss man ein bisschen ausholen. So soll ein heute 25-Jähriger – an sich gut situierter junger Mann mit Abitur und gebügeltem Hemd samt Krawatte – früher eine Kneipe in Schramberg betrieben und verpachtet haben, deren Spielautomaten zwei andere junge Schramberger eines schönen Tages im Jahre 2016 mit Gewalt leer geräumt haben sollen.

Eben deshalb soll der heute 25-Jährige gut zwei Jahre später einen der beiden Kleingangster vor einem Spielcasino in der Schramberger Berneckstraße abgepasst – und ihn dann um 175 Euro und sein Handy erleichtert haben. Um 120 Euro aus dessen Geldbeutel und weitere 55, nachdem das Opfer bei seiner Bank gewesen war (und mehr mangels Masse auf dem Konto nicht ausbezahlt bekommen hatte).

Das Opfer ging damals direkt zur Polizei und erstattete Anzeige. Und die Beamten schauten noch in der Nacht beim Täter vorbei, kassierten etwa das Handy. Der junge Mann sagte der Polizei freilich nichts davon, dass er wohl, zusammen mit seinem Kumpel, ein Automatenknacker ist und den heute 25-Jährigen 2016 um ein paar tausend Euro erleichtert hat. Sondern er berichtete, dass der Täter ihn am Arm gepackt und zum „Schweizer-Parkplatz“ geschleift habe. Ihn dann mit dem Tode bedroht und Geld gefordert habe. Und sein Handy.

Die Automatenknackergeschichte, sie ist nie angezeigt und etwa vor einem Gericht verhandelt worden. Das hatte der heute 25-Jährige selbst in die Hand genommen – zunächst die Ermittlungen, dann die Beschuldigtenvernehmung, direkt im Anschluss auch gleich die Bestrafung.

So bestätigte er am Montag vor dem Amtsgericht, dass er sein Opfer am 3. März 2019 vor dem Spielcasino in der Berneckstraße abgepasst – aber dann nur zur Rede gestellt habe. Dass er inzwischen herausbekommen hatte, dass der junge Mann mit seinem Kumpel an den Spielautomaten in seiner Kneipe gewesen sei. Damit konfrontiert, habe das Opfer dann all sein Bargeld herausgerückt und sei auch noch zur nahen Volksbank gegangen, um zu holen, was der Verfügungsrahmen hergibt. Dazu „hat er mich überredet“, so der 25-Jährige vor Gericht. Und das Handy, das habe es am Schluss auch noch obendrauf gegeben, „als Sicherheit für mich.“

Der Hintergrund: Der junge Automatenknacker soll laut dem 25-Jährigen selbst Angst vor der Polizei gehabt haben. Er soll versucht haben, sich mit Geld und Handy freizukaufen, damit sein Peiniger nicht zur Polizei geht. Und dann marschiert er anschließend selbst zur Polizei, um Anzeige zu erstatten?

Erstaunliche Geschichte. So erschreckend und angsteinflößend sah der 25-Jährige am Montag gar nicht aus. Muskulös, vielleicht, aber mehr auch nicht.

Und doch: Der Schramberger saß nicht nur wegen des mutmaßlichen Raubes vor Gericht. Er hatte im vergangenen Februar auch einen alten Kontrahenten aus der Kneipenszene mit einem wuchtigen Schlag niedergestreckt. Es war der 29. Februar 2020 gegen 18.15 Uhr. Das Opfer verließ gerade seine Shishabar, den früheren „Württemberger Hof“. Nach ein paar Metern kommt ihm der heute 25-Jährige entgegen – und der haut wie aus dem Nichts zu. Ansatzlos, mit der Faust auf die linke Gesichtshälfte. Das Opfer geht zu Boden, ist kurz benommen, der Täter geht weiter. Dreht sich noch einmal kurz um, ist dann weg. Zwei Videokameras zeichnen das Geschehen auf.

Die Folgen: eine Gehirnerschütterung, eine Stauchung der Halswirbelsäule, Schwindel, Kopfschmerzen und eine retrograde Amnesie. Eine Nacht Krankenhaus, zwei Wochen krankgeschrieben.

„Das war im Affekt“, sagte der 25-Jährige am Montag. Es hatte früher Streit zwischen den beiden gegeben, auch die Mutter des Täters wurde dabei beleidigt, das war wohl noch was offen, was jahrelang geschwelt haben soll. Und schließlich zu dem einen Schlag führte.

Das musste vom Amtsgericht nicht mehr ermittelt werden. Man hatte einen in dieser Sache geständigen Täter und Videoaufnahmen, die ihn bei der Tat zeigen.

Aber für den angeblichen Raub vor dem Spielcasino in der Schramberger Straße, da hätte das Gericht noch Zeugen gebraucht. Etwa das Opfer selbst, das ja Anzeige erstattet hatte, direkt, nachdem ihm Geld und Smartphone abgenommen worden waren. „Ich weiß nicht mehr, wie das damals abgelaufen ist“, sagte der junge Mann, ein Häuflein Elend, allerdings vor Gericht. Und: „Da kann ich nicht viel dazu sagen.“ Genau genommen sagte er fast nichts, murmelte nur etwas davon, dass er damals stark drogenabhängig gewesen sei und viel Cannabis geraucht habe. Soweit er sich erinnere, gebe es „keinen Grund, dass der Angeklagte verfolgt wird“.

„Ich glaube Ihnen wenig von dem, was Sie da sagen“, erklärte dazu der Richter. „Der Zeuge hat Angst vor dem Angeklagten“, so sah es die Staatsanwältin.

Der zweite Zeuge, Kumpel des ersten und mit ihm ein mutmaßliches Automatenknackerpaar, wusste vor Gericht auch nur noch seinen Namen und ein paar persönliche Daten wie Geburtstag und Adresse. Zu der Auseinandersetzung zwischen seinem Kumpel und dem heute 25-Jährigen: „Das wird wohl ein Missverständnis gewesen sein. Mehr weiß ich nicht.“

Wobei man den beiden jungen Leuten zugutehalten muss, dass sie gar nicht so umfangreich auspacken konnten. Denn natürlich wartet jetzt ein Ermittlungsverfahren wegen der Geldautomatengeschichte auf sie. Der eine der beiden war ohnehin in der Zwickmühle: Mit seinem Aussageverhalten steht gegen ihn nun ein Verfahren wegen „Falscher Verdächtigung“ im Raum. Dafür können eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe verhängt werden. Und der andere gab vor Gericht zu, dem heute 25-Jährigen nach der Automatengeschichte zweimal 2000 Euro gegeben zu haben, als Wiedergutmachung. Das räumte er trotz mehrmaliger Warnung durch den Richter ein. Ein Ermittlungsverfahren scheint unumgänglich.

Der 25-Jährige jedenfalls erfuhr eine gewisse Milde. Das Urteil: 90 Tagessätze à 25 Euro wegen der Körperverletzung und einer Nötigung, zu der der Raub inzwischen juristisch geworden war. Es ist bereits rechtskräftig.

Nötigung übrigens deshalb, weil das Gericht überzeugt ist, dass niemand sein Handy freiwillig herausgibt. Außerdem hatte der nun verurteilte, heute 25-Jährige mehrfach erklärt, dass er das Handy hatte haben wollen, weil er darauf verräterische WhatsApp-Nachrichten zwischen den beiden mutmaßlichen Automatenknackern vermutet hatte.

Nur ein Tagessatz mehr, auch übrigens, und ein Eintrag ins Führungszeugnis wäre fällig gewesen. Der junge Mann hätte dann als vorbestraft gegolten. So bleibt es blütenrein, das Führungszeugnis, vorbestraft war er nicht.

 

 

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