Donnerstag, 28. März 2024

Corona: Online-Debatte sehr manierlich

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Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.
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Gut vorbereitet hatten die Initiatorinnen und Initiatoren der Mahnwache die Onlinediskussion am Montagabend. FFR-Stadträtin Elke Reichenbach und Peter Bruker, Mitglied im Kreisvorstand der Grünen, hatten eingeladen, über Zoom miteinander ins Gespräch zu kommen und zu versuchen, „Gräben zuzuschütten, anstatt sie noch weiter zu vertiefen“. Gelungen ist das bei denjenigen, die teilgenommen haben, sicherlich. Allerdings waren nur etwa 80 Menschen dieser Einladung gefolgt, und diese kamen aus dem friedlicheren Teil der beiden Lager.

Um 17.45 Uhr hatte Moderator Christoph Plum, ein Profi seines Fachs, die Zoom-Konferenz eröffnet – und um 20 Uhr hatten immer noch etliche Teilnehmerinnen und Teilnehmer Redebedarf. Der Moderator erläuterte die Regeln des Abends. Nach der Einführung in die Netiquette würden die Teilnehmer per Zufall in kleinere Gruppen aufgeteilt.

Ein „Netti“ werde für die Einhaltung der Regeln sorgen und die Redebeiträge sortieren. Es solle drei Runden mit jeweils 20 Minuten geben, in denen die Gruppenmitglieder über das, was sie stört, wovor sie Angst haben und was sie sich am meisten in Coronazeiten wünschen, sprechen sollen. Am Ende würden in großer Runde die „Netties“ die Ergebnisse zusammenfassen.

Keine Namen in der Presse

Moderator Plum berichtete auch von der Absprache mit den Medien, dass  keine Namen von Beteiligten genannt werden sollen, um ein offenes Gespräch zu ermöglichen. Neben dem „Schwarzwälder Boten“ und der NRWZ waren auch der Südkurier und die Südwestpresse, der Südwestfunk und der Deutschlandfunk dabei.

Die wichtigste Regel der Netiquette lautete: „Vergessen  Sie nicht, dass auf der anderen Seite ein Mensch sitzt.“ Das hat dann auch bestens geklappt. Sich kurzzufassen und nicht länger als eine Minute zu sprechen, fiel  vielen Rednerinnen und Rednern erheblich schwerer. Es gibt nun mal Redebedarf.

Was stört mich ?

An der Frage, was einen störe, konnte man in der Kleingruppe erspüren, wo die einzelnen stehen. Sorge vor der Impfpflicht, der Umgang mit den Gegnern sei zu wenig differenziert, die Polarisierung, die von beiden Seiten vorangetrieben werde und von den Medien gesteuert sei, war zu hören. Berechtigte Kritik dürfe man nicht unmöglich machen. Genau deshalb habe man diesen Abend organisiert, meinte einer der Initiatoren. Ihn störe, dass Rechtsradikale die Spaziergänger instrumentalisierten.

Eine Teilnehmerin störte sich an den sich immer wieder ändernden Coronaregeln. Aber auch der „geduldete Tabubruch“ der Spaziergänger, die den Rechtsstaat herausfordern, verärgerte. Ein anderer ergänzte: „Wie geht die Gesellschaft nach Corona mit sich um? Kommen dann das nächste Thema und die nächste Gruppe, die sagt: ‚Uns kümmern Eure Regeln nicht?’“

Später im Plenum berichteten die Netties, es sei auch darüber gesprochen worden, dass Menschen stigmatisiert würden, die Leistungen jüngerer Menschen nicht ausreichend gewürdigt würden. Andere störte, dass nur über das Impfen gesprochen werde und keine anderen Auswege aus der Pandemie bedacht würden. Kritische Meinungen seien nicht zugelassen. Die Gräben in den Familien und Freundeskreisen und der aggressive Ton störten ebenfalls viele.

Aber auch ganz praktische Dinge wie die langen Wartezeiten bei PCR-Tests und Probleme in der Jugendarbeit empfanden einige als störend.

Was macht mir Angst?

Auch dazu diskutierten die Gruppen in einer anderen Zusammensetzung. Dabei reichten die Ängste von der aggressiven Sprache in manchen Leserbriefen bis zum Eindringen abstruser Verschwörungsmythen in die Gesellschaft. Andere ängstigte, dass man alle Protestierenden in einen Topf werfe und keine sachliche Diskussion mehr möglich sei.

Eine „Endlosschleife“ könne drohen, wenn wir die weniger entwickelten Länder nicht mit Impfstoff versorgten, hieß es.  Angst vor dem Verlust von Mitgefühl mit Kindern und alten Menschen wurde genannt, aber auch vor der Beschädigung des Rechtsstaates und der Demokratie. „Menschen werden an den Rand gedrängt – und bleiben am Rand“, so eine weitere Sorge.

Was wünsche ich mir?

In der dritten Runde, auf Wunsch der Teilnehmenden auf 30 Minuten verlängert, sollten die Diskutierenden ihre Wünsche äußern. Die Menschen sollten Wissenschaft doch wieder ernst nehmen, hieß es dazu. Kinder sollten frühzeitig den Umgang mit Medien und Wissenschaft lernen, um der zunehmenden Wissenschaftsfeindlichkeit zu begegnen. Im Gesundheitswesen müsse es Verbesserungen geben, lautete ein weiterer Wunsch.

Die Politiker sollten ihre Regeln klarer formulieren – und wenn sie Fehler gemacht hätten, das doch auch einfach zugeben. Die Politik solle die Eigenverantwortung stärken, mutiger sein. Ein  wohl alles zusammenfassender Wunsch einer älteren Teilnehmerin lautete: „Ich wünsche mir, dass wir alle mehr Rücksicht aufeinander nehmen. Ich bin bereit, mich zu ändern.“

Am Ende der gut zweistündigen Diskussionsrunde war das Bild noch uneinheitlich, ob es eine weitere solche Runde geben soll.

Wertvoll

Mit dem Dank an alle, die mitgemacht haben, versuchte Moderator Plum die Diskussion zu beenden – aber es bestand weiter Redebedarf. Schließlich bat er Mirko Witkowski vom mit veranstaltenden SPD-Kreisverband um ein Schlusswort. Eine „wertvolle Veranstaltung“, sei es geworden, „ein guter Austausch“, befand dieser. Die Qualität und die Tonlage der Wortbeiträge hätten ihn beeindruckt.

Mit erhobenen Daumen und Klatschhänden bestätigten die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer diesen Eindruck.

Info: Wenn es eine weitere Runde geben sollte, werden wir darüber berichten. Wer die schriftlichen Zusammenfasssungen aus den einzelnen Gruppen nachlesen möchte, kann diese anfordern per E-Mail an rottweil-sagt-ja@gmx.de Die E-Mailadresssen würden nicht  gespeichert, versichern die Initiatoren.

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