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„Leserbrief: Holz-Vollernter im Wald – „eine wahre Katastrophe““, Veröffentlicht: Dienstag, 8. Februar 2022, 23.58 Uhr

Leserbrief: Holz-Vollernter im Wald – „eine wahre Katastrophe“

(Meinung). Jüngste Diskussionen über Sinn und Unsinn beim Einsatz von sogenannten Vollerntern im Wald sind für uns Anlass, zu diesem Thema ein paar Worte zu verlieren: Für ein gutes Gewissen kann man sich alles schönreden. Aber wirklich helfen tut uns das nicht. Denn trotz aller Diskussionen um Klima-, Umwelt- und Naturschutz steht vielfach immer noch der Profit und der (vermeintlich) wirtschaftliche Aspekt auch in der Forstwirtschaft im Vordergrund. Hat uns denn die Natur nicht schon des Öfteren gelehrt, dass man nicht „ungestraft“ in über Jahrzehnte oder Jahrhunderte gewachsene Strukturen eingreifen kann? Wie oft mussten und müssen solche Eingriffe im Nachgang teuer durch Kosten für Rückbau oder Symptom-Bekämpfung (z.B. Renaturierung, künstliche Hangsicherungen, Hochwasserschutzmaßnahmen …) bezahlt werden?

Nicht nur in Deißlingen wird geplant, auch im Bettlinsbadwald ist derzeit– nach nur kurzer Zeit – die Holzernte mit schwerem Gerät wieder in vollem Gang. Neue breite Schneisen, verdichtete Fahrspuren und tiefe Rinnen, meterhohe Holzstapel und weithin deutlich hörbares Motorengeräusch bis weit nach Einbruch der Dunkelheit. Nach Aussage der Forstleute ist der Einsatz bei trockenem Wetter kein Problem. Aber darauf kann doch aus unternehmerischer Sicht gar keine Rücksicht genommen werden.

Welchem Waldspaziergänger oder Wanderer sind sie nicht bekannt, die Schilder und Appelle, die Wege nicht zu verlassen, sich ruhig zu verhalten und auf die Wildtiere Rücksicht zu nehmen? Ist das nicht besonders in der jetzigen Jahreszeit, in der die ohnehin geschwächten Tiere eine Winterruhe dringend brauchen, besonders wichtig und nachvollziehbar? Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist die oben geschilderte Situation eine wahre Katastrophe und für uns völlig unverständlich!

Neue Gräser und Kräuter an den Rändern der Schneisen? Einerseits eine schöne Vorstellung, aber müssen diese ein gut funktionierendes Ökosystem durch einander bringen? Warum überlassen wir diesen Arten nicht an den angestammten Standorten mehr Lebensraum? Erfreuen wir uns in einigen Jahren dadurch an noch mehr Orten an indischem Springkraut?

Dass in den Fahrrinnen – wie teilweise behauptet wird – neue Biotope entstehen können, mag wohl stimmen. Aber wer will glauben, dass in einigen Jahren, wenn wieder entsprechende Einsätze „notwendig“ sind, auf diese neuen Biotope und die hier angesiedelten Tier- und Pflanzenarten Rücksicht genommen wird?

Auch in den Büchern, Filmen und Interviews von und mit dem Förster Peter Wohlleben bekommt man vermutlich nur einen kleinen Bruchteil des Zusammenwirkens in diesem komplexen Ökosystem vermittelt, und wir glauben, dass kein Mensch die langfristigen Auswirkungen selbst kleinster Eingriffe voraussehen kann. Beklagen wir uns nicht über immer trockenere Wälder? Aber gleichzeitig wollen wir nicht wahrhaben, dass die Temperatur im Sommer in einem ausgedünnten Wald um bis zu 8 Grad höher ist, und dass ein ausgetrockneter und verdichteter Waldboden eine deutlich verringerte Wasserspeicherkapazität hat, dadurch die weitere Austrocknung zusätzlich begünstigt wird und die Bodenerosion und die allseits beklagten Überschwemmungen zunehmen.

Wir wissen alle, dass der allgegenwärtige und viel diskutierte Klimawandel nicht nur aus CO2 besteht, und wir glauben, dass wir Menschen einfach die Pflicht haben (auch bei uns, nicht nur in der großen Politik), die Natur und die natürlichen Zusammenhänge mit Respekt zu behandeln und nicht nur den -vermeintlichen – Gewinn im Auge zu haben. Wir sollten uns bewusst machen, dass wir ein Teil dieser Natur sind und unsere Zukunft und die unserer Nachkommen auf dieser Erde davon abhängt.

Marianne und Manfred Burgbacher,
Bettlinsbad/Rottweil 

 

 

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