Insolvenzverschleppung, oder: Wenn der Schönheitstraum vor dem Amtsgericht endet

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Rottweil. Beide waren Teil eines Firmengeflechts rund um Pharma und Immobilien, beide haben den rasanten unternehmerischen Aufstieg ebenso erlebt wie die Fahrt gegen die Wand. Die juristische. Karin E. und Wilhelm S.* fanden sich am Donnerstag vor dem Rottweiler Amtsgericht wieder. Wegen des Vorwurfs der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung. Aber nur kurz, weil vor allem die Richterin ein Einsehen hatte. Und sie wurden nicht bestraft. Freuen dürfen sich über den Prozess im Übrigen das Kinderhospiz „Sternschnuppe“ in VS-Schwenningen und der Rottweiler Verein „Frauen helfen Frauen“.

Es macht so ähnlich wie Zoom, es geht um Medizintechnik, Beauty und Pharma, um Immobilien und internationalen Erfolg. Zentraler Teil der Firmengeschichte, genauer: das Erfolgsrezept, ist zunächst das Zusammenspiel von Gelen und Ultraschallgeräten in der Schmerztherapie, von der örtlichen Tageszeitung 2014 als „Pionierleistung“ gefeiert, die einen langen Atem und viel Geld erfordere.

Zunächst geht alles gut, der Erfolg kommt richtig raketenartig. Marktauftritt in 40 Ländern, höchst namhafte Geschäftspartner wie die Lufthansa und Douglas, Innovationspreise gibt es auch.

Doch 2015 – laut dem damaligen Geschäftsführer das Jahr des erwarteten Durchbruchs – geht die Erfolgsgeschichte offenbar ihrem Ende entgegen. Der Medizintechnik-Teil des Firmengeflechts, der sich auf den Vertrieb des Gel-Ultraschallgerät-Gespanns konzentriert, macht Miese im Millionen-Euro-Bereich. Etwa 750.000 Euro Minus in den Jahren 2009, 2010 und noch mal 2014, rund 250.000 im Jahr 2011 und mehr als 1,5 Millionen Euro im Jahr 2013. In nur zwei Jahren der Firmengeschichte weist die Bilanz laut online einsehbaren Dokumenten schwarze Zahlen aus. Allerdings sind die Summen viel zu gering, um den bisherigen Schaden zu decken. Anfänglich macht die parallele Verwaltungs-GmbH noch satte Gewinne, doch schmelzen die auch dahin.

Die Pleiten folgen. Sämtliche Firmen des Geflechts befinden sich Stand heute, 2020, in Liquidation. Oder sie sind schon aufgelöst.

In einem Fall ging es der Justiz nicht schnell genug mit dem Ende einer der Gesellschaften. Und das nicht einmal die schillernden Unternehmensbereiche betreffend, die mit Medizintechnik, Schönheit und Pharma zu tun hatten. Sondern eine vergleichsweise unspektakuläre GmbH mit dem geschäftlichen Gegenstand der „Projektierung, Aufbereitung und Entwicklung von Konzepten zur Nutzung von Immobilien aller Art“. Nett und für Laien kaum verständlich ist, dass diese Firma aus einer anderen hervorgegangen ist, deren Geschäftszweck wiederum die „Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen im Bereich der Hautkosmetik und Healthcare“ gewesen war.

Diese Immobilien-GmbH, die so ähnlich hieß wie das Zimmern-Rottweiler Gewerbegebiet, die sei 2017 pleite gewesen. Der Insolvenzantrag aber sei erst ein Jahr später gestellt worden. So stellte es die Staatsanwältin am Mittwoch vor dem Amtsgericht dar. Auf der Anklagebank: zwei der drei ehemaligen Geschäftsführer des Unternehmens, Karin E. und Wilhelm S. Träger von Namen, die immer wieder in dem verzweigten Firmengeflecht rund um Medizintechnik, Schönheit und Pharma auftauchen. Beide als ehemalige Geschäftsführer und ehemalige Prokuristen. Gegen einen dritten Geschäftsführer, den Kopf hinter dem Firmengeflecht, werde eigens ermittelt, hieß es am Donnerstag. Verfahrensstand? Der NRWZ nicht bekannt.

Nun sollen sie die Insolvenz jener Immobilien-GmbH wissentlich verschleppt haben. Sollen noch Aufträge an ein Rottweiler Consulting-Unternehmen und an einen Notar vergeben haben, obwohl sie gewusst hätten, dass die Immobilien-GmbH längst zahlungsunfähig sei. Der angebliche Schaden: rund 100.000 Euro.

Ihre Anwälte sahen das anders. Benjamin Waldmüller, etwa, Rechtsanwalt bei der Rottweiler Kanzlei Hirt+Teufel, sagte der NRWZ, dass er den angerichteten Schaden nachhaltig bestritten hätte. Der sei so nicht entstanden. Der Knackpunkt an der Geschichte sei zudem, dass sich im Zeitraum, den die Justiz nun den beiden ehemaligen Prokuristen als den der Untätigkeit vorwirft, die Immobilien-GmbH bereits in Abwicklung befunden hätte.

Amtsrichterin Carla Kasper hätte es noch ein wenig pragmatischer gesehen, berichtete Waldmüller aus einem gemeinsamen Gespräch mit der Juristin, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft und seinem Kollegen, Rechtsanwalt Till Teufel. So sei kein materieller Schaden entstanden, etwa einem Kunden oder Angestellten gegenüber. Die GmbH hatte keine Mitarbeiter neben den Prokuristen.

Richterin Kasper hatte zuvor schon, in der Verhandlung, signalisiert, dass sie einen Vorsatz bei den beiden nicht sehe. Vielmehr Fahrlässigkeit. Zudem hätten beide persönlich viel Geld verloren, das sie vor der Pleite noch in die Unternehmen gesteckt hätten. Und sie würden heute noch an den finanziellen Folgen knabbern.

Gegen beide, gegen Karin E. und Wilhelm S. war bereits ein Strafbefehl des Rottweiler Amtsgerichts ergangen. 80 Tagessätze à 50 Euro, also 4000 Euro. Eine Strafe, die beide nicht akzeptieren wollten, weshalb sie Einspruch einlegten. Gegen beide wurde am Mittwoch kurz verhandelt.

Kurz deshalb, weil gar keine Beweisaufnahme mehr stattfand, weil der Fall im Richterinnenzimmer entschieden wurde. Ergebnis: Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldauflage (nicht: -strafe). Über die Höhe verhandelte Wilhelm S. noch ein wenig, das Gericht landete dann bei 2400 Euro pro Kopf, die in sechs Raten bis Ende Januar 2021 zu zahlen sind.

Nette Anekdote am Rande: Wilhelm S. durfte selbst den Empfänger seiner Zahlung bestimmen, den Rottweiler Verein „Frauen helfen Frauen“. Dort arbeite eine Verwandte mit, er halte das Engagement für unterstützenswert. „Diese Einrichtung steht auch bei mir auf der Liste“, bestätigte die Richterin. Abgemacht.

Karin E. wird ihren Anteil an das Kinderhospiz „Sternschnuppe“ leisten.

Bei all dem Firmengeflecht bei den jeweiligen Rollen als Geschäftsführer und Prokuristen – da wird man fragen dürfen, ob gegen Karin E. und Wilhelm S. noch etwas anliegt. Rechtsanwalt Waldmüller beantwortete die Frage gerne: Ihm sei kein weiteres Verfahren bekannt.

Und was ist mit den einstmals so als Pionierleistung gefeierten Produkten? Die sind weiterhin noch erhältlich. Bei Amazon.de allerdings gekennzeichnet mit dem Hinweis „Lagerräumung“. Der Webshop führt die Produkte weiterhin. Dort heißt es auch, sie seien „jetzt seit mehr als 15 Jahren auf dem Markt und immer noch einzigartig.“ Ein Impressum aber fehlt auf der Seite und die Firmenadresse ist nun in Schweden. Die deutsche Firma, die das Produkt einst vertrieb, befindet sich in Liquidation. Telefonisch ist sie nicht erreichbar.

*Namen von der Redaktion geändert.

Das interessiert diese Woche



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Rottweil. Beide waren Teil eines Firmengeflechts rund um Pharma und Immobilien, beide haben den rasanten unternehmerischen Aufstieg ebenso erlebt wie die Fahrt gegen die Wand. Die juristische. Karin E. und Wilhelm S.* fanden sich am Donnerstag vor dem Rottweiler Amtsgericht wieder. Wegen des Vorwurfs der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung. Aber nur kurz, weil vor allem die Richterin ein Einsehen hatte. Und sie wurden nicht bestraft. Freuen dürfen sich über den Prozess im Übrigen das Kinderhospiz „Sternschnuppe“ in VS-Schwenningen und der Rottweiler Verein „Frauen helfen Frauen“.

Es macht so ähnlich wie Zoom, es geht um Medizintechnik, Beauty und Pharma, um Immobilien und internationalen Erfolg. Zentraler Teil der Firmengeschichte, genauer: das Erfolgsrezept, ist zunächst das Zusammenspiel von Gelen und Ultraschallgeräten in der Schmerztherapie, von der örtlichen Tageszeitung 2014 als „Pionierleistung“ gefeiert, die einen langen Atem und viel Geld erfordere.

Zunächst geht alles gut, der Erfolg kommt richtig raketenartig. Marktauftritt in 40 Ländern, höchst namhafte Geschäftspartner wie die Lufthansa und Douglas, Innovationspreise gibt es auch.

Doch 2015 – laut dem damaligen Geschäftsführer das Jahr des erwarteten Durchbruchs – geht die Erfolgsgeschichte offenbar ihrem Ende entgegen. Der Medizintechnik-Teil des Firmengeflechts, der sich auf den Vertrieb des Gel-Ultraschallgerät-Gespanns konzentriert, macht Miese im Millionen-Euro-Bereich. Etwa 750.000 Euro Minus in den Jahren 2009, 2010 und noch mal 2014, rund 250.000 im Jahr 2011 und mehr als 1,5 Millionen Euro im Jahr 2013. In nur zwei Jahren der Firmengeschichte weist die Bilanz laut online einsehbaren Dokumenten schwarze Zahlen aus. Allerdings sind die Summen viel zu gering, um den bisherigen Schaden zu decken. Anfänglich macht die parallele Verwaltungs-GmbH noch satte Gewinne, doch schmelzen die auch dahin.

Die Pleiten folgen. Sämtliche Firmen des Geflechts befinden sich Stand heute, 2020, in Liquidation. Oder sie sind schon aufgelöst.

In einem Fall ging es der Justiz nicht schnell genug mit dem Ende einer der Gesellschaften. Und das nicht einmal die schillernden Unternehmensbereiche betreffend, die mit Medizintechnik, Schönheit und Pharma zu tun hatten. Sondern eine vergleichsweise unspektakuläre GmbH mit dem geschäftlichen Gegenstand der „Projektierung, Aufbereitung und Entwicklung von Konzepten zur Nutzung von Immobilien aller Art“. Nett und für Laien kaum verständlich ist, dass diese Firma aus einer anderen hervorgegangen ist, deren Geschäftszweck wiederum die „Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen im Bereich der Hautkosmetik und Healthcare“ gewesen war.

Diese Immobilien-GmbH, die so ähnlich hieß wie das Zimmern-Rottweiler Gewerbegebiet, die sei 2017 pleite gewesen. Der Insolvenzantrag aber sei erst ein Jahr später gestellt worden. So stellte es die Staatsanwältin am Mittwoch vor dem Amtsgericht dar. Auf der Anklagebank: zwei der drei ehemaligen Geschäftsführer des Unternehmens, Karin E. und Wilhelm S. Träger von Namen, die immer wieder in dem verzweigten Firmengeflecht rund um Medizintechnik, Schönheit und Pharma auftauchen. Beide als ehemalige Geschäftsführer und ehemalige Prokuristen. Gegen einen dritten Geschäftsführer, den Kopf hinter dem Firmengeflecht, werde eigens ermittelt, hieß es am Donnerstag. Verfahrensstand? Der NRWZ nicht bekannt.

Nun sollen sie die Insolvenz jener Immobilien-GmbH wissentlich verschleppt haben. Sollen noch Aufträge an ein Rottweiler Consulting-Unternehmen und an einen Notar vergeben haben, obwohl sie gewusst hätten, dass die Immobilien-GmbH längst zahlungsunfähig sei. Der angebliche Schaden: rund 100.000 Euro.

Ihre Anwälte sahen das anders. Benjamin Waldmüller, etwa, Rechtsanwalt bei der Rottweiler Kanzlei Hirt+Teufel, sagte der NRWZ, dass er den angerichteten Schaden nachhaltig bestritten hätte. Der sei so nicht entstanden. Der Knackpunkt an der Geschichte sei zudem, dass sich im Zeitraum, den die Justiz nun den beiden ehemaligen Prokuristen als den der Untätigkeit vorwirft, die Immobilien-GmbH bereits in Abwicklung befunden hätte.

Amtsrichterin Carla Kasper hätte es noch ein wenig pragmatischer gesehen, berichtete Waldmüller aus einem gemeinsamen Gespräch mit der Juristin, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft und seinem Kollegen, Rechtsanwalt Till Teufel. So sei kein materieller Schaden entstanden, etwa einem Kunden oder Angestellten gegenüber. Die GmbH hatte keine Mitarbeiter neben den Prokuristen.

Richterin Kasper hatte zuvor schon, in der Verhandlung, signalisiert, dass sie einen Vorsatz bei den beiden nicht sehe. Vielmehr Fahrlässigkeit. Zudem hätten beide persönlich viel Geld verloren, das sie vor der Pleite noch in die Unternehmen gesteckt hätten. Und sie würden heute noch an den finanziellen Folgen knabbern.

Gegen beide, gegen Karin E. und Wilhelm S. war bereits ein Strafbefehl des Rottweiler Amtsgerichts ergangen. 80 Tagessätze à 50 Euro, also 4000 Euro. Eine Strafe, die beide nicht akzeptieren wollten, weshalb sie Einspruch einlegten. Gegen beide wurde am Mittwoch kurz verhandelt.

Kurz deshalb, weil gar keine Beweisaufnahme mehr stattfand, weil der Fall im Richterinnenzimmer entschieden wurde. Ergebnis: Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldauflage (nicht: -strafe). Über die Höhe verhandelte Wilhelm S. noch ein wenig, das Gericht landete dann bei 2400 Euro pro Kopf, die in sechs Raten bis Ende Januar 2021 zu zahlen sind.

Nette Anekdote am Rande: Wilhelm S. durfte selbst den Empfänger seiner Zahlung bestimmen, den Rottweiler Verein „Frauen helfen Frauen“. Dort arbeite eine Verwandte mit, er halte das Engagement für unterstützenswert. „Diese Einrichtung steht auch bei mir auf der Liste“, bestätigte die Richterin. Abgemacht.

Karin E. wird ihren Anteil an das Kinderhospiz „Sternschnuppe“ leisten.

Bei all dem Firmengeflecht bei den jeweiligen Rollen als Geschäftsführer und Prokuristen – da wird man fragen dürfen, ob gegen Karin E. und Wilhelm S. noch etwas anliegt. Rechtsanwalt Waldmüller beantwortete die Frage gerne: Ihm sei kein weiteres Verfahren bekannt.

Und was ist mit den einstmals so als Pionierleistung gefeierten Produkten? Die sind weiterhin noch erhältlich. Bei Amazon.de allerdings gekennzeichnet mit dem Hinweis „Lagerräumung“. Der Webshop führt die Produkte weiterhin. Dort heißt es auch, sie seien „jetzt seit mehr als 15 Jahren auf dem Markt und immer noch einzigartig.“ Ein Impressum aber fehlt auf der Seite und die Firmenadresse ist nun in Schweden. Die deutsche Firma, die das Produkt einst vertrieb, befindet sich in Liquidation. Telefonisch ist sie nicht erreichbar.

*Namen von der Redaktion geändert.

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Peter Arnegger (gg)
Peter Arnegger (gg)https://www.nrwz.de
... ist seit gut 25 Jahren Journalist. Mehr über ihn hier.