Ein neues Programm der Rottweiler Wirtschaftsförderung trägt den Titel „Förderrichtlinie zur Unterstützung der An- und Umsiedelung von inhabergeführten Betrieben in der Innenstadt“. Mit Geld sollen neue Einzelhandelsgeschäfte und andere sogenannte innenstadtrelevante Unternehmen angelockt werden. So steht es in einer Vorlage für den Gemeinderatsausschuss, der am kommenden Mittwoch tagen wird.
Rottweil – Leerstand. Das ist der Zustand, den es zu vermeiden, zu beheben gilt. Vor allem, wenn es um langfristigen Leerstand geht. Denn der bleibt nicht lange allein und beschleunigt nur den wahrgenommenen oder tatsächlichen Verfall einer einst belebten Innenstadt. „Rottweil ist tot“, heißt es dann, Leute schauen sich anderswo um. Wodurch Rottweil nur noch rascher stirbt. Vor allem auch nach als lebensgefährlich wahrgenommenen Einschnitten wie der angekündigten Schließung des „Rosenkavaliers“ am zentralen Friedrichsplatz.
ZUSAMMENHALT IN DER NACHBARSCHAFT
Dann gehen die Leute zum Einkaufen eben nach Balingen, wo es dem Vernehmen nach viel besser ist. In der etwas größeren Stadt, nur rund 25 Kilometer entfernt gelegen, scheint der Einzelhandel tatsächlich zu blühen. Hört man sich dort um, heißt es, die Händlerinnen und Händler würden zusammenhalten (wohingegen es von Rottweil heißt, die Einzelhändler streiten sich, seit es zwei Einzelhändler gibt). Man ziehe an einem Strang, um ein attraktives Angebot aufrecht zu erhalten.
Wobei man, das zeigt die Erfahrung vor Ort, sich auch gemeinsam und fast geschlossen eine Mittagspause gönnt, die Bürgersteige zur Mittagszeit vorübergehend hochklappt, was eigentlich als nicht mehr zeitgemäß gilt. Was in Balingen aber dem Vernehmen nach auch erreicht wurde: Die Stadt hat zunächst innenstadtnahe Parkplätze geschaffen, dann das Zentrum verkehrsberuhigt. Und wer sich die Frage stellt, was Balingen hat, was Rottweil nicht hat, findet eigentlich eine Antwort: einen Ring für Autofahrer um die Innenstadt.
CRAZY NEUSTART
Es läuft jedenfalls in der Stadt im Zollernalbkreis, fast wie verrückt. Dazu passt: „Crazy Store #2“ heißt die jüngste Neueröffnung in Balingen.
So etwas hätte Rottweil auch gerne: eine Neueröffnung. Die muss nicht einmal crazy, verrückt, sein. Gefragt sind die ganz klassischen und alltäglichen Angebote von A bis Z. Von Antiquitäten und Abendmode bis Zeitungen und Zeitschriften. So steht es in den Förderrichtlinien eines neuen Programms zur Belebung der Rottweiler Innenstadt, das die Stadtverwaltung jetzt vorlegt und das sie bereits ab Juli 2024 umsetzen will.
„Die Stadtverwaltung und das Innenstadtmanagement sind davon überzeugt, dass diese Maßnahme dazu beitragen wird, Rottweil als attraktives Einkaufsziel zu stärken und die historische Innenstadt als lebendiges Zentrum zu erhalten.“Alexander Stengelin, Wirtschaftsförderer, Stadt Rottweil
ZIELE DES PROGRAMMS SIND:
- die Ansiedelung neuer Einzelhandelsbetriebe in der Rottweiler Innenstadt,
- die Umsiedelung bestehender Einzelhandelsbetriebe in innerstädtische Lagen,
- die Verbesserung des Branchenmix,
- die teilweise oder gänzliche Schließung der ebenerdigen Geschäftslücken in den Geschäftsstraßen
- sowie eine langfristige bzw. dauerhafte Ansiedelung von attraktivitätssteigernden Betrieben.
So steht es in einem Papier des neuen Wirtschaftsförderers Alexander Stengelin. Er wird es dem Kultur-, Sozial- und Verwaltungsausschuss des Rottweiler Gemeinderats am 17. April zum Beschluss vorlegen.
DIE ZIELGRUPPE
Die Förder-Zielgruppe sind laut dem Papier aus der Wirtschaftsförderung inhabergeführte Einzelhandelsunternehmen, deren Sortiment maßgeblich zentrenrelevante Einzelhandelssortimente umfasst und die eine Geschäftsgründung, -übernahme, -verlagerung oder spezielle Erweiterung der bisherigen Räumlichkeiten planen. „Darüber hinaus werden auch neue, attraktive Formate und Unternehmenskonzepte gefördert, die zur Belebung der Einkaufsstadt beitragen. Dies schließt auch Konzepte aus Handwerk, Dienstleistung und Gastronomie mit ein“, heißt es in der Gemeinderatsvorlage.
DREIMAL MAXIMAL 70 %
Mit seinem Programm verspricht der Wirtschaftsförderer neuen Unternehmerinnen und Unternehmern einen Mietzuschuss. Und zwar für volle zwei Jahre maximal 70 Prozent der Netto-Kaltmiete bis maximal 700 Euro monatlich im ersten Jahr. Im zweiten Jahr beträgt die Förderung die Hälfte des ersten Jahres. Es werden maximal drei Mietförderungen je Haushaltsjahr gestartet. Der Zuschuss soll direkt an die Vermietenden gehen, die dann die Miete entsprechend senken sollen. Das soll den Gründern „ein gewisses Maß an Sicherheit geben“, heißt es. Es soll helfen, „eine langfristige Präsenz in der Innenstadt aufzubauen“.
Damit das nicht ausufert (kleiner Scherz des Verfassers), aber damit vielleicht auch ein Wettbewerb entsteht, werden maximal drei Mietförderungen je Haushaltsjahr gestartet.
DEN ABSCHWUNG AUF-, DAS ANGEBOT ERHALTEN
Die Förderrichtlinien sehen, wie beschrieben, einen Mix von A bis Z vor. Interessant ist: Vieles davon gibt es in der Rottweiler Innenstadt bereits – wie Uhren, Schmuck und Optik, Elektronikartikel, Lederwaren, Schuhe, Bekleidung und Bücher, beispielsweise. Anderes ist gerade erst zu einem Gutteil verschwunden, wie etwa Haushaltswaren. Zugleich sieht die Stradtverwaltung, sieht Wirtschaftsförderer Stengelin einen allgemeinen Strukturwandel im Einzelhandel, der durch die Corona-Pandemie nochmals beschleunigt wurde. Innenstädte lockten immer weniger Menschen an. „Dies hat zur Folge, dass in B-Lagen und vereinzelt auch in A-Lagen der Rottweiler Innenstadt langfristige Leerstände entstanden sind“, so Stengelin.
TRADING-DOWN, ODER: DEN BACH RUNTER
Neben dem Strukturwandel im Einzelhandel seien bei einigen Leerständen auch „unterschiedliche Motivationen von Vermietern zu identifizieren“, warum deren Immobilien nicht vermietet werden. „Hier werden Unsicherheiten gegenüber neuen Konzepten, Uneinigkeit unter Eigentümergemeinschaften, fehlendes Kapital zur Instandsetzung oder Mietforderungen, die von Interessenten nicht erfüllt werden können, genannt. Dadurch sind mittel- und langfristig Trading-Down-Effekte in der Innenstadt zu befürchten“, schreibt der Wirtschaftförderer. Das beschreibt einen Entwicklungstrend vom vollständigen Angebot mit pulsierendem Leben zu zunehmenden Leerständen samt ausbleibender Kundschaft. Wenn dann nur noch sogenannte Ein-Euro-Läden oder Spielhallen eröffnen, geht das Image einer Stadt oder eines Stadtteils vollends den Bach runter. „Mit Blick auf die Landesgartenschau 2028 und darüber hinaus ist dies mit Nachdruck zu vermeiden, damit sich die historische Innenstadt weiterhin als vitales und attraktives Stadtzentrum präsentieren kann“, so Stengelin.
DER OB, EIN IMMOBILIENMANN UND EIN WEINHÄNDLER ENTSCHEIDEN MIT
Und wer entscheidet, wer den Mietzuschuss bekommen soll? Dazu hat sich der sogenannte Rottweiler Lenkungskreis Innenstadt auf einen Ausschuss verständigt, besetzt mit
- Oberbürgermeister Dr. Christian Ruf als Vorsitzendem,
- Bürgermeisterin Ines Gaehn,
- Wirtschaftsförderer Alexander Stengelin,
- Innenstadtmanagerin
- Kerstin Ohnmacht,
- Einzelhändler Michael Grimm von der Bacchus Vinothek und
- Philipp Merz von Merz Immobilien.
DER GELTUNGSBEREICH
Die Verwaltung grenzt den Geltungsbereich des Projekts örtlich ein. In der Beschreibung heißt es: „Der Förderbereich umfasst Erdgeschosslagen im zentralen Versorgungsbereich (ZVB) der Rottweiler Innenstadt. Damit sind auch Flächen im ersten oder evtl. auch zweiten OG eingeschlossen, wenn diese über die Hauptfläche im Erdgeschoss erschlossen werden.“ Der ZVB (siehe Bild) sei im 2014 erstellten und 2018 fortgeschriebenen Einzelhandelskonzept festgelegt und beschlossen worden. Damit liegw eine „von Experten erarbeitete Grundlage zur Definition der Haupteinkaufslagen vor, an der sich das Mietförderkonzept orientiert“.
KOSTEN UND LAUFZEIT
Inklusive einem Budget für Werbemaßnahmen und -mittel geht der Rottweiler Wirtschaftsförderer von einem jährlichen Budget von bis zu 45.000 Euro aus, die das Förderprojekt kosten soll. Im Haushalt 2024 sind bereits 30.000 Euro für eine entsprechende Maßnahme vorgesehen, das Projekt gilt als finanziert, zumal im ersten Jahr nicht alle Gelder abgerufen werden, da es nicht die vollen zwölf Monate mehr läuft.
„Es ist angestrebt, dieses Budget im ersten Schritt für mindestens die kommenden vier Jahre vorzusehen, um hier eine nachhaltige Entwicklung zu unterstützen“, schreibt Stengelin. Im Jahr 2028 soll von der Stadtverwaltung eine Evaluation der Maßnahme im Gemeinderat präsentiert und über die Weiterführung der Maßnahme entschieden werden.
Unter dem Titel „Starte in Rottweil“ soll das Projekt im Juli starten, wenn sich der Gemeinderatsausschuss am kommenden Mittwoch dafür entscheidet. Eine entsprechende Website, über die die Fördermittel beantragt werden können, ist in Planung.