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Am 5. März soll Richter Ramos sein Urteil verkünden / Die Staatsanwaltschaft belohnt seine Kooperation

OneCoin: Konstantin Ignatov bald frei?

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OneCoin-Top-Mann Konstantin Ignatov könnte am 5. März den Gerichtssaal in New York als freier Mann verlassen. US-Staatsanwalt Damian Williams hat Richter Edgardo Ramos geschrieben, seine Behörde empfehle das Urteil „Strafe verbüßt“ (time served) zu fällen. Immerhin habe Ignatov bereits fast drei Jahre im Gefängnis gesessen. Ignatov hat um ein solches Urteil gebeten.

New York/Sofia/Schramberg Ignatov ist der Bruder der seit mehr als fünf Jahren spurlos verschwundenen „Kryptoqueen“ Ruja Ignatova. Ignatova hatte mit Sebastian Greenwood die angebliche Kryptowährung OneCoin erfunden und über ein Schneeballsystem Milliarden US-Dollar und Euros gescheffelt. Die beiden Geschwister sind in Schramberg aufgewachsen und in den 90er Jahren hier in die Schule gegangen.

Skeptisch gegenüber OneCoin

Ignatovas fünf Jahre jüngerer Bruder Konstantin war nach ihrem Verschwinden Ende Oktober 2017 zu einem „faktischen Anführer von OneCoin“ geworden, wie Williams schreibt. Er sei andererseits aber auch skeptisch gegenüber OneCoin gewesen. Nach seiner Festnahme im März 2019 in Los Angeles habe er fünf Monate später in neun Sitzungen gegenüber dem FBI über OneCoin ausgepackt und dazu beigetragen, dass vier andere OneCoin-Verschwörer in den USA bestraft wurden.

In dem zwölf Seiten langen Schreiben der Staatsanwälte an Richter Ramos schildern sie  erneut ausführlich, wie Ruja Ignatova und Sebastian Greenwood ihren Schwindel aufgezogen haben. Die beiden hätten „alleine zwischen dem vierten Quartal 2014 und dem vierten Quartal 2016 mehr als vier Milliarden Dollar von mehr als 3,5 Millionen Opfern“ abkassiert.

Während der gesamten Zeit von Anfang 2014 bis heute gehen Fachleute von weit höheren Summen aus, die OneCoin-Betrüger ihren Opfern abgenommen haben. Ein Anwalt von Greenwood nannte einmal 15 Milliarden Dollar. Staatsanwalt Williams stellt auch in diesem Dokument fest: „Die Kryptowährung war wertlos.“

Schreiben an Richter Edgardo Ramos.

Vom Assistenten zum de facto Führer

Ignatovs Rolle bei OneCoin begann im Juni 2016 als persönlicher Assistent seiner Schwester. Er habe ihre Reisen und Besprechungen organisiert. Als er bei OneCoin begonnen habe, habe er nicht gewusst, dass „OneCoin ein Schwindel ist“. Nach Rujas Verschwinden im Oktober 2017 sei Konstantin schnell zu einem Spitzenvertreter und Sprecher von OneCoin aufgestiegen

Er wurde der „de facto leader“, weil er eben Ruja Ignatovas Bruder war. „Ignatov trat bei Werbeveranstaltungen in Thailand, Singapore, Kolumbien, Argentinien, Brasilien, Paraguay, Bulgarien, Frankreich and Spanien auf.“ Dabei habe er die Lügengeschichten von OneCoin  verbreitet.

Uganda hat Staatsanwalt Williams übersehen. Auch da warb Ignatov für OneCoin. Screenshot aus einem Video: him

Probezeit bei Ruja für Mini-Gehalt

Bevor er bei seiner Schwester arbeitete, war er als Gabelstaplerfahrer  bei Porsche angestellt. Zunächst habe er sich bei Porsche beurlauben lassen und einen Monat Probezeit bei Ruja gehabt, um zu sehen, ob es ihm bei OneCoin gefällt. Sie habe ihm 2500 Euro Gehalt geboten. Seine Rolle bei OneCoin sei „zwischen Juni 2016 und Oktober 2017 recht beschränkt“ gewesen.

Über den betrügerischen Charakter von OneCoin habe er nur nach und nach mehr erfahren. Zunächst habe er keine Ahnung vom „Multi-Level-Marketing“ und von Kryprowährungen gehabt. Auf der anderen Seite habe er seine ältere Schwester wegen ihrer großen Erfolge vor OneCoin, nämlich ihrem Studium in Oxford und ihrem Job bei McKinsey bewundert.

Von Anfang an sei Ignatov gegenüber OneCoin skeptisch gewesen, so die Staatsanwaltschaft. Als Ignatova mit Sebastian Greenwood in London im Juni 2016 beim berühmten „Coin Rush“ verkündeten, sie würden das Geld der Anleger auf einen Schlag verdoppeln „machte das für Ignatov keinen Sinn“.

Ganz der seriöse Geschäftsmann: Konstantin Ignatov auf seiner Facebookseite. Screenshot: him

Ignatova und die Hells Angels

In diesem Zusammenhang schildert Williams auch eine Begegnung Ignatovs mit den „Hells Angels“. Ein Top-Verkäufer von OneCoin habe zu dem Treffen mit Ruja, Greenwood und einem „Hells Angels“-Vertreter eingeladen. Dieser habe Ruja aufgefordert, in eine „Sicherheitsfirma“ der Rockertruppe zu investieren und die Angels als Sicherheitsleute zu engagieren. „Ignatov fand es bizarr, dass sich seine Schwester mit Hells-Angels-Leuten trifft“, schreibt Williams. Ignatova habe ihn beruhigt, dieser Top-Verkäufer habe immer wieder verrückte Ideen, er brauche sich keine Sorgen machen.

Jamie Bartlett allerdings berichtet in „The Missing Cryptoqueen“, dass nach Rujas Verschwinden, Vertreter der Hells Angels  Konstantin in einem Züricher Hotel eine Pistole in den Mund geschoben hätten. Sie forderten ihr Geld zurück, das sie in OneCoin investiert hatten.

Viele Warnzeichen erkannt – und dennoch mitgemacht

Anschließend beschreibt  der Staatsanwalt, was Ignatov in den Monaten und Jahren gegenüber OneCoin skeptisch gemacht habe. Das reicht von seiner Suchanfrage bei google, wo er gleich zu Beginn seiner Zeit in Sofia auf Berichte gestoßen war, dass OneCoin ein betrügerisches Schneeballsystem war.

Es geht weiter mit Erlebnissen in Hongkong, wo hochrangige OneCoin-Mitarbeiter rucksackweise die Geldbündel bei Ruja ablieferten. In Hongkong und Südkorea habe es ganze Wohnungen gegeben, „die gefüllt waren mit OneCoin-Geldern“.

Milliarden in Appartments gestapelt

Auch die enormen Summen, die seine Schwester und die anderen Top-OneCoiner verdienten, hätten ihn skeptisch gemacht. Reihenweise seien OneCoin-Werber festgenommen worden. Andererseits habe die Organisation Regierungsbeamte überall auf der Welt geschmiert.

Die Geldwäscheprobleme und die Diebstähle von enormen Summen innerhalb der Organisation erwähnt Williams. Aber auch Ruja Ignatovas Regel, „dass Freunde und Familienmitglieder nicht in OneCoin investieren dürfen.“

Auch hatte Ignatova ihrem Bruder eine Liste mit Anwälten gegeben, sollte sie verhaftet werden. Der letzte Punkt der Auflistung ist geschwärzt, aus Sicherheitsgründen, wie Williams in einer Fußnote schreibt.

Ignatova bereitet ihr Verschwinden vor

Ausführlich beschreibt Williams auch die Abhöraktion, die Ruja Ignatova von Frank Schneider bei ihrem Ex-Geliebten und Geldwäscher Gilbert Armenta im Herbst 2017 organisieren ließ. Daher habe sie gewusst, dass Armenta mit dem FBI zusammenarbeite.

Ruja Ignatova und Gilbert Armenta bei einer Party in Bulgarien. Archiv: him

Sie lud das OneCoin-Management zu einem Treffen in ihr Haus in Sofia ein und informierte die Gruppe, sie werde für einige Zeit weggehen, man solle sich keine Sorgen machen. Sie habe aber keinerlei Andeutungen gemacht, wohin sie gehe und weshalb sie abtauche.

Ihr Bruder sollte dann die berühmten zwei Ryan-Air-Tickets nach Wien und Athen buchen. Ignatov habe vermutet, die beiden Tickets sollten es den Strafverfolgern erschweren, ihre Spur zu finden. Sie sei dann in Begleitung eines Sicherheitsmannes aber ohne Gepäck nach Athen geflogen.

Der Sicherheitsmann habe ihm erzählt, seine Schwester sei von einer Gruppe von Männern, die „offenbar russisch sprachen“, abgeholt worden. „Ignatov hat seither Ruja nicht mehr gesehen oder mit ihr gesprochen.“

Aufstieg und Fall

In den folgenden Wochen und Monaten sei Ignatov zum faktischen Führer von OneCoin aufgestiegen. Er selbst habe aber wohl nicht mehr als vorher verdient. Er habe auch nie die Macht seiner Schwester innerhalb der Organisation erreicht. Sie habe irgendwo zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Dollar aus OneCoin herausgezogen, schätzen die Staatsanwälte, während Konstantin weiter „seine bescheidenen 3000 Euro pro Monat verdiente“.

Im Laufe der Zeit habe Ignatov mehr und mehr begriffen, das Onecoin wertlos war. Dennoch habe er weiter Lügen über die angebliche Kryptowährung erzählt und behauptet, er sei „im regelmäßigen Kontakt mit seiner Schwester“, um die Anleger zu beruhigen.

Ausführlich schildern die Staatsanwälte, wie Konstantin Ignatov mit ihnen zusammengearbeitet hat. Seine Aussagen im November 2019 im Prozess gegen Mark Scott führten zu Informationen über den Aufbau der OneCoin-Organisation und den Pyramidenaufbau. Auch wie die Geldwäsche organisiert war, habe er erklärt.

Seine Aussage habe aber nicht zu Verurteilung von Scott geführt. Das hätten viele andere Beweise getan. Deshalb sei auch die Lüge um den Laptop, den Ignatov eben nicht weggeworfen, sondern von Arthur Duncan nach Sofia hatte zurückbringen lassen, nicht wesentlich für das Urteil gegen Scott. In Ignatovs eigenem Verfahren spreche die eidliche Falschaussage aber gegen ihn.

Rein in den Knast, raus aus dem Knast

Insgesamt verbrachte Ignatov 34 Monate in Haft. Williams listet auf: Er saß von seiner Festnahme am 6. März 2019 bis zum 29. Januar 2021. Da wurde er gegen Kaution freigelassen. Am 12. November 2021 musste er wieder ins Gefängnis, weil er einen Meineid geschworen hatte.

Nach ziemlich genau einem Jahr, am 14. November 2022 kam er wieder gegen Kaution frei. Seit einiger Zeit arbeitet er als Freiwilliger in einer Suppenküche für Bedürftige. Am 5. März 2024 wird das Urteil erwartet.

Die Bewährungsbehörde empfiehlt beim bulgarischen Staatsbürger Ignatov auf „Strafe verbüßt“ zu erkennen. Die Staatsanwälte gehen ausführlich auf die Strafmaßrichtlinien ein. Demnach könnte er auch zu lebenslang verurteilt werden.

Hier wird Richter Edgardo Ramos am 5. März das Urteil verkünden – und Konstantin Ignatov möglicherweise als freier Mann hinaussspazieren. Foto Matthew R. Lee

Strafe verbüßt?

Sie argumentieren, Ignatov sei erst spät zu OneCoin gekommen, allerdings dann einer der Top-Leader gewesen. Er habe einerseits mit den Behörden kooperiert. Sein Meineid in Sachen Laptop habe die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden sehr erschwert.

Die fast drei Jahre, die er bereits im Gefängnis saß, seien dafür aber Strafe genug. Auch im Vergleich zu dem, was sich Armenta nach seiner Verurteilung noch geleistet habe, sei die Strafe für Ignatov angemessen.

Neben der verbüßten Gefängnisstrafe soll Ignatov 118.000 Dollar oder 109.000 Euro Geldstrafe bezahlen, fordert die Staatsanwaltschaft. Das ist die Summe, die Ignatov während der 33 Monate in Diensten von OneCoin verdient habe.

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Martin Himmelheber (him)
Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.