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„OneCoin-Prozess in Münster: „Es ging immer nur um Token““, Veröffentlicht: Dienstag, 26. Oktober 2021, 12.18 Uhr

OneCoin-Prozess in Münster: „Es ging immer nur um Token“

MÜNSTER – Wenn es wie geplant läuft, haben die Prozessbeteiligten im Münsteraner OneCoin-Prozess nun gerade mal ein Zehntel der geplanten Strecke bewältigt.  Fünf von fünfzig Verhandlungstagen liegen hinter ihnen. Nun, am sechsten Tag, sind erstmals die Opfer als Zeugen zu Wort kommen.

Der Vorsitzende Richter Pfeiffer hat insgesamt 34 Zeugen geladen. Etwa 60.000 Menschen aus Deutschland sollen an die Firma IMS International Marketing Services der beiden Angeklagten Manon H. und Frank R. Gelder für „Bildungspakete“ der OneCoin Ltd. überwiesen haben. Etwa 88.000 Überweisungen mit einer Gesamtsumme von 320 Millionen Euro hat die Staatsanwaltschaft Bielefeld gezählt.

Diese Gelder, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft an das Ehepaar aus Greven, hätten diese auf andere Konten weitergeleitet, ohne die dazu erforderliche Erlaubnis nach dem Finanzdienstleistungsgesetz zu haben. Das Landgericht Münster will außerdem prüfen, ob die beiden nicht auch Beihilfe zu Geldwäsche und Betrug begangen haben.

Um das zu klären, will das Gericht die Opfer hören, Menschen, die bei OneCoin investiert und auch schon gegenüber der Polizei ausgesagt haben, erläutert Richter Pfeiffer. „Wir haben jüngere und ältere, Männer und Frauen geladen, Leute mit größere und kleineren ‚Schulungsprogrammen‘, einen möglichst guten Querschnitt.“

Verteidiger bezweifeln Berechnung des OneCoin Wertes

Doch bevor es in die Zeugenvernehmung geht, haben die Verteidiger von Manon H., Frank R. und des dritten Angeklagten Martin B. aus München noch Erklärungen abzugeben. Am fünften Verhandlungstag hatte die Kammer Mails zwischen OneCoin-Erfinderin Ruja Ignatova und ihrem Multi-Level-Marketing Boss Sebastian Greenwood verlesen. Außerdem zeigte das Gericht drei Videos, in denen Ignatova über OneCoin und die Blockchain sprach (wir haben berichtet).

Frank R.s  Anwalt bezweifelte die  Aussage, dass der Wert eines OneCoin damals fünf Euro betragen habe. Ignatova habe erklärt, der Wert hänge von zwei Dingen ab: der Marke und der Benutzerfreundlichkeit. Sie habe die Miningschwierigkeit nicht als einziges Kriterium benannt. Die von ihr erwähnten fünf Euro seien nur ein Beispiel gewesen, wie man den Wert festlegen könne. Dieser Erklärung schlossen sich die Verteidiger der anderen Angeklagten an.

Aus einem Video von OneCoin-Werbern vom 26. Oktober 2015. Screenshot: him

Was heißt shit?

Der Verteidiger des Münchner Rechtsanwalts Martin B. wollte das Wort „Shit“ nicht nur mit Sch.  übersetzt wissen. (Ignatova hatte in einer Mail an Greenwood im Zusammenhang mit  der Blockchain geschrieben:…“ but we are telling the people shit“ – sondern wir erzählen den Leuten  Sch..“  Shit, so der Anwalt, könne im Englischen auch durchaus „nicht abwertend gemeint sein“.

Nachdem das zu Protokoll genommen ist, lässt Richter Pfeiffer den erste Zeugen aufrufen.

Die ersten Zeugen

Franz-Josef G. * berichtet, er sei von einer Verwandten für OneCoin geworben worden. „Ich hatte keine Ahnung von Kryptowährungen und Blockchains.“ Unmittelbar nach dem Tod seiner Frau sei er „neben der Spur“ gewesen. Unter normalen Umständen hätte er höchstens 1000 bis 5000 Euro in eine so riskante Sache investiert. Zumal er sich über Ruja Ignatova keine Illusionen gemacht habe. Die IG-Metall habe ja schon über deren betrügerischen Konkurs in Waltenhofen berichtet.

Dennoch habe er sich von seiner Verwandten überzeugen lassen. Im langen englischen Vertragstext habe fett gedruckt gestanden, „dass sie für gar nichts garantieren. Das fand ich wenigstens noch ehrlich.“

„Keine Garantie“ Aus einem OneCoin-Video vom 26. Oktober 2015. Screenshot: him

„Maximal unseriös“

Er habe nie andere geworben, denn das Multi-Level-Marketingsystem finde er problematisch. Im Laufe der Zeit sei OneCoin für ihn immer mehr zur Sekte geworden. „Ignatova wurde zu so einer Art Heiligen.“ Ihm erschien das Ganze  „maximal unseriös“. Spätestens nach dem „Double Day“, an dem angeblich sämtliche Guthaben durch eine neue, zweite Blockchain sich verdoppelten, sei ihm klar geworden: „Das geht so gar nicht.“

Dennoch habe er sich selbst geworben und zwei weitere Konten, „Nice 12“ und „Nice 13“,*  eröffnet. Insgesamt habe er etwa 20.000 Euro an die IMS überweisen.

Der Erfolg von Bitcoin habe ihn angestachelt. Gleichzeitig habe er sich gefragt, wo der Gegenwert für die Coins eigentlich herkomme solle, erzählt der langjährige Betriebsrat in einem großen Unternehmen. „Ich dachte, das ist eine Chance. Bei Bitcoin hat man auch lange nicht dran geglaubt.“ Er habe es für möglich gehalten, dass OneCoin funktioniert. „Dass das Ganze von vornherein Betrug war, habe ich erst viel später gemerkt.“

Screenshots für die Prüfung

Franz Josef G. hat damals etliche Screenshots von seinem OneCoin Dashboard angefertigt. Darauf waren die Kontobewegungen abzulesen, die Wertsteigerungen die Zahl der Token, der Coins, die Splits und der jeweilige Schwierigkeitsgrad. Das sei schon spannend gewesen, wie man da langsam immer reicher wurde. Er habe verschiedene Pakete gekauft. Eines nannte sich Tycoon Trader für 5000 Euro, das andere Executive Trader für 3000 Euro.

Aus einem OneCoin-Werbevideo vom 26.10.2015 Screenshot: him

Irgendwann sei ihm klar gewesen, dass er auf einen Betrug hereingefallen war. Er habe sich dann nicht mehr weiter damit beschäftigt.

Ob er je versucht habe, sein Geld zurück zu bekommen, fragt Richter Pfeiffer. Nein, sonst hätte er ja seine Verwandte verklagen müssen. Ob es denn eine Möglichkeit gegeben habe, OneCoin wieder in Euro zu tauschen?  Das, so der Zeuge, soll ganz am Anfang mal möglich gewesen sein, habe er gehört. Später sei von der OneCoin-Zentrale der klare Hinweis gekommen, das gehe gar nicht.

Um herauszufinden, wie das Dashboard und die Blockchain zusammen hängen, habe ein Beamter des Bundeskriminalamts die drei „Nice“*- Konten des Zeugen genutzt und Beträge von fünf Coins hin und her übertragen. Wie er das machte und was dahinter steckte, habe er nicht mehr verstanden. Auf dem Dashboard habe man die Transfers beobachten können.

Schulungspakete lächerlich

Was das mit den Schulungspaketen auf sich gehabt habe, will Richter Pfeiffer wissen. Die Organisation habe behauptet, sie verkauften keine Tokens, mit denen man später OneCoin minen könne, sondern eben Schulungspakete. „Eine lächerlich naive Behauptung“ ,so der Zeuge. Sogar in einem der Werbevideos habe einer der Verkäufer gesagt: „Seien wir ehrlich, es geht um die Token.“ Im Nachhinein habe er den Eindruck gehabt, es gehe lediglich darum die Bafin  (Bundesanstalt für Finanzaufsicht) zu umgehen.

Der Zeuge G. berichtet von den tollen Videos und tollen Veranstaltungen, die die OneCoin-Leute gezeigt hätten. Seine Verwandte habe ihn immer wieder gedrängt, weitere Leute zu werben. Sie habe ihm gar vorgeworfen, er enthalte anderen Leuten diese Chance vor. OneCoin sei doch „so etwas wie Bitcoin, nur viel besser.“ Sie hätten sich damals ziemlich gestritten, weil er eben niemanden geworben hätte.

In den OneCoin-Videos hätten auch immer wieder Leute, die alle nicht aus dem Bankensektor kamen, erzählt, wie viel Geld sie nun verdienen würde. Er selbst habe für das Neueröffnen seiner beiden weiteren Accounts zusammen 2420 Euro als Bonus gutgeschrieben und auch tatsächlich ausbezahlt bekommen.

Keine Altersarmut

Als dann OneCoin die Handelsplattform „Dealshaker“ ins Leben rief, Ignatova war da längst untergetaucht, habe er dort keine Produkte gefunden, die er hätte brauchen können. Er habe sich dann nicht mehr um OneCoin gekümmert. „Ich hatte keine Lust mehr, meine Zeit mit dieser Verbrecherbande zu verschwenden.“

Ob die 20.000 Euro ihn sehr schmerzten, seine Altersversorgung gefährdeten, will der Staatsanwalt wissen. Nein, sagt Zeuge G. . Der Verlust sei zwar schmerzhaft. „Aber ich gerate nicht in Altersarmut.“

Der Staatsanwalt hielt G. schließlich eine Aussage bei der Polizei vor. Da hatte er noch nach dem berüchtigten „Double Day“ vom 1. Oktober 2016 gesagt, er halte einen Erfolg von OneCoin für möglich und wahrscheinlich Er habe sich wohl in seiner Erinnerung heute getäuscht, bedauert der Zeuge. Bei seiner zweiten Vernehmung durch das LKA am 12. Oktober 2017 habe er OneCoin „deutlich kritischer gesehen“, erklärt er später einem Verteidiger gegenüber.

Undurchsichtiges Firmengeflecht

Im Zusammenhang mit der IMS des angeklagten Ehepaares sagt G., er habe das Geld auf eines von deren Konten überweisen. Es habe ein „undurchsichtiges Firmengeflecht“ gegeben. Er habe sich gefragt, „mit wem habe ich eigentlich einen Vertrag geschlossen?“

Wie das mit der Provision gewesen sei, fragt ein anderer Anwalt. Ob auch seine Verwandte etwas bekommen habe, als er seine beiden Zusatzkonten einrichtete und weitere „Bildungspakete“ kaufte? Ja, seine Verwandte habe auch eine Provision bekommen aber weniger als er.

Seine Skepsis sei extrem  gestiegen, nachdem zwei Mal der Handelsstart verschoben worden und Ruja Ignatova im Oktober 2017 abgetaucht war. Das Fazit dieses Zeugen:  Die „Verbrecherbande“ habe keinerlei Garantien abgegeben, da seien sie wenigstens ehrlich gewesen. „Keiner von uns kann sich nur als Opfer darstellen. Wir haben vom möglichen Totalverlust gewusst.“

Blockchain oder keine Blockchain – das ist hier die Frage

Nach einer Pause  kommt als nächster Zeuge ein IT-Experte der Staatsanwaltschaft Bielefeld in den Zeugenstand, Kay M.* hat das Gutachten  einer anderen Firma zur Blockchain unter die Lupe genommen und die Screenshots des Zeugen G. mit diesem Gutachten und Daten von OneCoin abgeglichen. Die meisten Daten habe er da nicht wiedergefunden.

Das OneCoin- „Dashboard“ aus einem OneCoin-Video vom 22. April 2016. Screenshot: him

Richter Pfeiffer geht es um die Existenz einer Blockchain. Bei den Probeüberweisungen hätte man diese in der Blockchain und nicht nur im Dashboard wieder finden müssen. Das sei ihm aber nicht gelungen. Nach seiner Untersuchung existierten zwei Systeme neben einander: Das Buchungssystem und  nebenher sei so etwas wie eine Blockchain erzeugt worden. „Transaktionen wurden nicht in der Blockchain niedergeschrieben.“ Ob es eine Blockchain gab, könne man nur verifizieren, „wenn man den Code hat“, so der IT-Forensiker.

Rendite lockte

Als nächster Zeuge kommt der Niederlassungsleiter einer Firma in den Zeugenstand. Wolfgang K.* berichtet, ein Bekannter habe ihn auf eine OneCoin-Veranstaltung in Hannover eingeladen. Dort seien ihnen die Bildungspakete „schmackhaft“ gemacht worden. Auf Grafiken sei zu sehen gewesen, wie der OneCoin stetig steigt. Auf die Frage, woher die Gewinne kommen, habe man ausweichend geantwortet.

Ende März 2016 habe er sich wegen der Renditeaussichten zum Kauf entschlossen und 1030 Euro an IMS überweisen. Von Kryptowährungen oder Blockchains habe er nichts gewusst. „Ausschlaggebend war die Aussicht auf Rendite.“ An den Schulungsmaterialien habe er kein Interesse gehabt.

… und alles steuerfrei

Die Handelsplattform „Dealshaker“ habe er angeschaut, doch die angebotenen Dinge seien ihm zu teuer gewesen, zumal man immer sowohl mit Euro als auch OneCoin zahlen musste. Die Verdoppelung der Guthaben im Jahr 2017 sei als „Dankeschön für die Leute, die schon investiert“ hätten, beworben worden. Wenn man all die Videos angeschaut habe und die Zahlen auf dem Dashboard, dann habe „das Gehirn ausgesetzt“, meint der Zeuge selbstkritisch. Ein besonders zugkräftiges Argument der OneCoiner sei gewesen, dass „die Gewinne steuerfrei“ seien.

Einer der Verteidiger möchte wissen, ob der Zeuge selbst auch jemanden geworben habe. „Ja, meine Partnerin.“ Dafür habe er auch eine kleine Provision bekommen. Ihm sei klar gewesen, dass jede Geldanlage ein Risiko bedeutet. „Dass es so ganz weg ist, damit habe ich nie gerechnet.“

„Dealshaker“: Nur Ramsch

Nach der Mittagspause ist als Zeuge Thomas J.* dran: Er poltert gleich los: „Eigentlich müsste diese Frau hier auf der Anklagebank sitzen.“ Er meint Ruja Ignatova. Ein befreundeter Finanzfachmann habe ihn 2015 geworben und er habe 500 Euro investiert. Die Dealshaker-Seite fand er dubios. Es sei Ramsch angeboten worden, es soll aber auch Autohändler gegeben haben oder Friseure, die dort mitgemacht hätten.

Heute laufe das alles ja als OneCoin Ecosystem.eu weiter. Die Schulungspakete habe er nicht angeschaut, zu langweilig, seien die gewesen, nur für Akademiker. Die Token gab es als Boni zu den Bildungspaketen dazu. Aber allen sei klar gewesen, das sei eine Mogelpackung, um die rechtlichen Klippen zu umschiffen. „In Wirklichkeit waren wir alle auf die Token scharf.“

Dealshaker OneCoin-Video 12. Mai 2020 Screenshot : him

So eine Art Aktie?

Er habe gedacht, der Wert entstehe durch Angebot und Nachfrage, das sei „so eine Art Wertpapier“, weiß der Zeuge zu berichten. Es gebe ja heute mehr als 800 Kryptowährungen. Bei echten habe man ja schon „in zwei Wochen 25 Prozent reingeholt“. Es sei von den OneCoin-Leuten so dargestellt worden, dass ihre Währung so ähnlich wie bei Bitcoin funktioniere. Der Kurs sei ja auch immer nach oben gegangen. „Theoretisch hatte ich ja 12.000 Euro auf dem Laptop für meine 500 Euro. Das fand ich toll.“

Ruja Igantova bei ihrem Auftritt in Wembley am 11. Juni 2016. Screenshot: him

Außerdem soll es ja weltweit drei Millionen Kunden gegeben haben, allein in Deutschland 75.000.  Der Taxifahrer aus einer norddeutschen Kleinstadt kennt sich gut aus. Ruja Ignatova sei seit 2017 verschwunden. „Man munkelt, dass sie sich auf der Jacht eines russischen Oligarchen versteckt.“ Hochintelligent sei die Frau. Er habe gelesen, sie spreche sieben Sprachen und habe in ihrer Kindheit zwei Klassen übersprungen.

Sein Freund, der ihn damals geworben hatte, der glaube immer noch dran. „Ich habe die 500 Euro  als Lehrgeld abgeschrieben.“ Er selbst habe niemanden geworben. Die in der Spitze bei OneCoin hätten sicher gut verdient.  Er selbst sei skeptisch geworden, als die Presse über OneCoin  geschrieben habe. Das habe die OneCoin-Organisation zwar abgewiegelt, es hieß: Regierungen und Banken hätten etwas gegen OneCoin. Aber es seien immer wieder die Bankverbindungen gewechselt worden mit irgendwelchen Ausreden.

Richter appelliert: Vielleicht doch ein Geständnis? Es droht Knast

Kurz vor halb drei entlässt Richter Pfeiffer den Zeugen und weist dann die Angeklagten und ihre Verteidiger erneut auf die Möglichkeit eines Geständnisses und einer Verständigung hin. Anders als noch am Dienstag verleiht er seiner Botschaft mehr Nachdruck. Angesichts der Schadenshöhe stehe „auf jeden Fall“ eine Strafe von mehr als  zwei Jahren im Raum. Eine „nicht mehr bewährungsfähige Freiheitsstrafe“ also. Er bitte die Beteiligten, das „nochmals in Ruhe zu überlegen“ und schließt die Sitzung.

Ob die Angeklagten die Botschaft vernommen haben?

Nach einer Verhandlung reden Anwälte und Angeklagte vor dem Gerichtsgebäude. Foto: him

* Namen und Bezeichnungen von der Redaktion geändert

 

 

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