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„Sieben Monate für Faustschlag bei der Kickerstube in Sulgen“, Veröffentlicht: Sonntag, 12. Februar 2023, 10.41 Uhr

Sieben Monate für Faustschlag bei der Kickerstube in Sulgen

Schramberg/Rottweil.  Schlecht beraten war wohl ein junger Mann, der vor einem Jahr gegen ein Urteil des Amtsgerichts Oberndorf in Berufung ging. Das Landgericht Rottweil hat die Berufung verworfen und die in Oberndorf verfügten Bewährungsauflagen noch einmal deutlich verschärft.

Schlägerei vor Kickerstube: Sieben Monate auf Bewährung

Wegen eines massiven Faustschlags an der Fasnet 2019 stand ein junger Mann aus Dunningen vor Gericht. Der heute 28-jährige Schlosser hatte bei einer Auseinandersetzung vor der „Kickerstube“ am Fasnetsfreitag vor vier Jahren einem jungen Engländer derartig wuchtig ins Gesicht geschlagen, dass dieser einen gebrochenen Kiefer und zwei kaputte Schneidezähne davon trug.

Im ersten Verfahren vor einem Jahr hatte das Amtsgericht den – einschlägig vorbestraften – Angeklagten zu sieben Monaten Haft auf Bewährung und einer Geldauflage von 1200 Euro verdonnert. Sein Verteidiger Steffen Hammer aus Roitlingen hatte damals auf Notwehr und damit auf Freispruch plädiert. Und weil das Gericht es anders sah, seinem Mandanten die Berufung empfohlen.

Neuauflage mit allen Zeugen

Nun mussten wieder acht Zeugen auftreten, der junge Mann aus England war angereist, mit ihm als Zeuge sein damaliger Begleiter und bester Freund. Eine Dolmetscherin unterstützte ihn als Zeugen und Nebenkläger, ein Gutachter reise aus Tübingen an, ein Anwalt unterstützte das Opfer als Nebenklägervertreter.

In der Neuauflage schilderte der Angeklagte seine persönlichen Verhältnisse. Er sei seit Ende 2021 arbeitslos, habe sich zwar schon oft beworben, aber die letzte Stelle wieder aufgegeben: „Ich war als Instandsetzer eingestellt worden und stand an einer Maschine und hab‘ bloß Knöpfe gedrückt.“ Nach drei Monaten sei er dann wieder gegangen. Nun lebe er bei und von seinen Eltern.

Durchgetrunken

Der Richter der zweiten kleinen Hilfsstrafkammer lässt den Angeklagten den Abend in der Kickerstube schildern. Er sei am Schmotzigen in die Kickerstube gegangen und dann dort geblieben bis zum Freitagabend. Er sei irgendwann am Abend rausgegangen und dann von zwei Leuten umgestoßen worden. „Dabei hab‘ ich Riesenwunden abbekommen“, erzählt er. Es habe stark geblutet. Die zwei hätten auf ihm drauf gelegen und andere hätten die beiden Engländer weggezogen. Er sei dann aufgestanden. „Einer der beiden kam auf mich zu, dann hab‘ ich ihn halt geschlagen.“

Dass es die zwei Engländer waren, die ihn da geschubst haben, weiß er noch. Die beiden seien auf ihm drauf gelegen, da habe er sich halt gewehrt.

Fasnetsparty mit üblen Folgen

Die beiden Gerüstbauer aus England waren am selben Tag zu Freunden aus Aichhalden gekommen, um die Fasnet zu erleben. Gemeinsam sei man in die Kickerstube zum Feiern gegangen. Und allesamt hatten ordentlich Alkohol intus. Als Zeuge berichtet das Opfer, dass er sich an nichts mehr erinnere. „Ich bin erst am nächsten Morgen im Rottweiler Krankenhaus wieder zu mir gekommen.“ Der Kieferbruch und die verlorenen Schneidezähne hätten ihn im folgenden Jahr sowohl körperlich als auch seelisch stark beeinträchtigt.

Lange Zeit konnte er nichts Festes zu sich nehmen. Mit seinen fehlenden Zähnen habe er sich nicht aus dem Haus getraut. Für die Behandlung und die Zahnimplantate habe er etwa 11.000 Pfund (etwa 12.400 Euro) ausgegeben. Seit Ende 2021 arbeite er wieder.

Mehrere Zeugen berichteten, wie sie die Vorgeschichte erlebt haben. Der Angeklagte sei schon in der Kickerstube ziemlich aggressiv gewesen. Er habe sich wohl dran gestört, dass die beiden Engländer englisch miteinander gesprochen hätten. „Ihr seid in Deutschland, redet deutsch“ oder so ähnlich habe er sie angemacht. Ein anderer erzählte, der Angeklagte habe in der Kickerstube „rumgepöbelt“ und immer wieder die Türe zugeknallt.

Was dann draußen genau passierte? Ja, es habe die Schubserei gegeben, und der Angeklagte habe auf dem Rücken am Boden gelegen. Die beiden Engländer hätten sich über ihn gebeugt. Drauf gelegen- das hat keiner bestätigt. Umstehende hätten sie vom Angeklagten weggezogen, die Gruppe sich ein paar Meter entfernt. Nach kurzer Zeit – die Rede war von 30 Sekunden bis fünf Minuten – sei der Angeklagte wieder auf die Gruppe zugekommen.

Das Opfer habe vielleicht eine Vorwärtsbewegung oder einen Schritt nach vorn gemacht. Aber dann sei schon der Schlag gekommen. In Einzelheiten haben sich die Zeugen widersprochen, mal waren es zehn Meter, mal zwei bis drei Meter Abstand zwischen den Gruppen, aber die Grundaussage war doch gleich.

Woher kamen die Verletzungen des Angeklagten?

Dass auch der Täter eine starke Verletzung abbekommen hatte, das war unstrittig, wenn auch die Ursache offen blieb. Ein Schramberger Polizeioberkommissar berichtete von seinen Beobachtungen am Tatort und den späteren Ermittlungen. Der Täter sei zwar betrunken gewesen, habe aber seinen Anweisungen folgen können und sei nach einem Platzverweis auch gegangen.

Wenig ergiebig war die Vernehmung des zweiten Engländers. Er erinnere sich an nichts mehr von dem Abend in Schramberg.  „Ich war sehr stark betrunken.“ Er würde gern helfen, aber er wisse rein gar nichts mehr, versicherte er dem Gericht.

Auf diesem Parkplatz bei der Turn- und Festhalle Sulgen soll der Faustschlag erfolgt sein. Foto: him

Verteidiger: Notwehr plausibler

Schließlich plädierte zunächst der Verteidiger. Als erster, weil er die Berufung beantragt hatte. Sein Mandant habe in Notwehr gehandelt, deshalb müsse er freigesprochen werden. Sein Mandant sei schwer verletzt gewesen. Es sei logisch, dass er sich zur Wehr setze, wenn einer, der ihn zuvor zu Boden geworfen hat, auf ihn zugeht.

Die widersprüchlichen Zeugenaussagen machten diese wertlos. Außerdem seien die Zeugen fast alle „aus dem Lager“ des Opfers. Es sei plausibler, dass sein Mandant aufgestanden und unmittelbar danach zugeschlagen habe. Deshalb „im Zweifel für den Angeklagten“.

Staatsanwältin und Nebenkläger: zusätzliche Bewährungsauflagen

Ganz anders argumentierte die Staatsanwältin. Sie sah das erste Urteil inhaltlich vollständig bestätigt. Woher die Verletzungen des Angeklagten stammen, sei unklar geblieben. Alle Zeugen hätten von einer „zeitlichen Zäsur“ zwischen der ersten Rangelei und dem Faustschlag berichtet. Der für die Notwehr erforderliche Verteidigungswille habe gefehlt, argumentierte sie.

Mit dem Strafmaß der ersten Instanz sei der Angeklagte noch sehr gut davongekommen. Da die Staatsanwaltschaft nicht in Berufung gegangen sei, werde es bei den sieben Monaten bleiben. Sie forderte aber bei den Bewährungsauflagen, dass der Angeklagte gegen seinen Alkoholkonsum etwas tun müsse.

Der Nebenklägervertreter fand, es sei für die deutsche Justiz eine Schande, dass es vier Jahre gedauert habe, bis dieses Rohheitsdelikt bestraft werde. Auch er sah keine Notwehrhandlung. Es müsse nun bald einen Schadensersatz für den Nebenkläger geben. Er schlug als Bewährungsauflage vor, dass der Angeklagte monatlich 200 Euro zur Schadenswiedergutmachung zahlen soll.

In seinem letzten Wort murmelte der Angeklagte, das Opfer tue ihm leid wegen seiner Verletzung.

Urteil: Sieben Monate und 200 Sozialstunden

Nach kurzer Beratung mit seinen beiden Schöffen verkündete der Richter sein Urteil: „Die Berufung wird als unbegründet verworfen.“ Der Angeklagte müsse die Kosten des Verfahrens zahlen. Zudem habe er in der dreijährigen Bewährungszeit 200 Sozialstunden zu leisten. Außerdem muss er über den Nebenklägeranwalt 7500 Euro an das Opfer bezahlen. Wenn er das zahle, müsse er die 200 Stunden nicht ableisten.

Zur Begründung erklärte der Richter, der Angeklagte lebe „in den Tag hinein, lässt sich von den Eltern aushalten“.“  Das mit der Notwehr stimme eben nicht, weil zwischen den beiden Ereignissen eine Pause eingetreten war. Der Angeklagte sei schon im Vorfeld aggressiv gewesen, die Engländer angepöbelt und so den Streit begonnen.

Mit leicht betretener Mine nahm der Angeklagte das Urteil auf. Sein Anwalt hatte vor dem Urteil angedeutet, er könne in Revision gehen. Statt weitere Anwalts- und Gerichtskosten aufzuhäufen, wäre es klüger, „zu  prüfen, ob vorhandene finanzielle Mittel nicht sinnvoller zur Befriedigung von Ansprüchen des Tatopfers eingesetzt werden sollten“, meinte ein Prozessbeobachter.

 

 

 

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