Mord in Villingendorf: Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungsverfahren gegen Polizisten und Jugendamt ein +++aktualisiert

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Nach dem Dreifach-Mord in Villingendorf vom September 2017 hatte die Staatsanwaltschaft Rottweil auch gegen vier Polizeibeamte und zwei Mitarbeiter des Landratsamtes Tuttlingen und Rottweil ermittelt. Mehrere Strafanzeigen waren gegen diese erstattet worden. Jetzt teilt Staatsanwalt Frank Grundke mit, dass diese Ermittlungen eingestellt wurden. Die Mutter des getöteten Jungen hat sich bei der NRWZ gemeldet: „Ich werde das nicht hinnehmen.“

In einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft vom Freitagmorgen heißt es:

„Von der Staatsanwaltschaft Rottweil wurden Ermittlungsverfahren gegen vier Polizeibeamte sowie zwei Mitarbeiter des Landratsamtes Rottweil beziehungsweise des Landratsamtes Tuttlingen wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen gemäß Paragraf 170 Abs. 2 StPO eingestellt.“

In der ausführlichen Begründung schreibt Grundke: „Am 14. September 2017 ermordete Drazen D. in Villingendorf seinen 6 Jahre alten Sohn, den neuen Lebensgefährten der Mutter seines Sohnes sowie dessen zu Besuch weilende Cousine. Drazen D. wurde durch Urteil des Landgerichts Rottweil vom 26.06.2018 wegen Mordes in drei Fällen sowie Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil des Landgerichts Rottweil ist rechtskräftig.“

Strafanzeigen als  Ermittlungsanlass

Aufgrund mehrerer Strafanzeigen habe die Staatsanwaltschaft Rottweil Ermittlungsverfahren gegen vier Polizeibeamte, eine Mitarbeiterin des Landratsamtes Tuttlingen sowie eine Mitarbeiterin des Landratsamtes Rottweil wegen möglicher Straftaten, insbesondere wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen geführt. Nach Abschluss der Ermittlungen seien die Verfahren gegen sämtliche Beschuldigte eingestellt worden, „da sich ein hinreichender Verdacht einer strafbaren Handlung nicht ergeben hat“.

Polizeibeamte: Keine Pflichtverletzung

Die Mutter des getöteten Jungen habe in ihrer Anzeige vier Polizeibeamten zur Last gelegt, zum Schutz ihres Sohnes, ihres Lebensgefährten und ihrer eigenen Person gebotene Schutzmaßnahmen pflichtwidrig nicht vorgenommen und dadurch strafrechtlich relevant die Tat vom 14. September 2017 mitverursacht zu haben. Die Ermittlungen hätten ergeben, „dass keinem der angezeigten Polizeibeamten vorgeworfen werden kann, unter Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt gebotene Schutzmaßnahmen unterlassen und dadurch vorhersehbar und vermeidbar die Tat zum Nachteil der drei getöteten Personen ver-ursacht zu haben“.

Dabei gehe die Staatsanwaltschaft Rottweil davon aus, dass den
Polizeibeamten als Bestandteil ihrer Berufspflicht eine Garantenstellung zur Gefahrenabwehr obliege. „Strafprozessuale Maßnahmen, durch welche die Tat hätte verhindert werden können, haben den Beamten jedoch nicht zur Verfügung gestanden, insbesondere hätten vor der Tat die rechtlichen Voraussetzungen für eine Inhaftierung des Beschuldigten wegen der angezeigten Taten der Bedrohung und Sachbeschädigung nicht vorgelegen“ so Grundke.

Eine Sorgfaltspflichtverletzung der Polizeibeamten unter Berücksichtigung der diesen vor dem 14. September 2017 bekannten und erkennbaren Umständen hätte die Statsanwaltschaft nicht festgestellt. Die Polizisten seien verpflichtet gewesen, auf Grundlage der ihnen vorliegenden Erkenntnisse eine mögliche Gefährdung der Anzeigeerstatterin sowie deren Angehöriger zu prüfen und sodann nach pflichtgemäßem Ermessen erforderliche Maßnahmen zu treffen. „Dieser Verpflichtung sind nach den Feststellungen der Staatsanwaltschaft Rottweil die beschuldigten Polizeibeamten nachgekommen.“

Jugendamt Tuttlingen: Drazen D. wußte vorher neue Anschrift

Einer Mitarbeiterin des Jugendamtes des Landratsamtes Tuttlingen wurde laut Grundke vorgeworfen, sie trage eine Mitverantwortung an dem Geschehen, da Drazen D. nach seiner eigenen Aussage die von der Anzeigeerstatterin streng geheim gehaltene neue Anschrift in Villingendorf bei einem Besuch des Jugendamtes in Tuttlingen bekannt geworden sei. „Insoweit wurde das Verfahren aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen eingestellt.“

Nach den Ermittlungen habe nicht nachgewiesen werden können, dass Drazen D. den neuen Wohnort seiner früheren Lebensgefährtin tatsächlich auf dem von ihm behaupteten Weg festgestellt hatte. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass dieser bereits Anfang März 2017 also vor dem von ihm behaupteten Termin beim Landratsamt wusste, wo beziehungsweise in welcher Gemeinde seine frühere Lebensgefährtin wohnt.

Darüber hinaus verneine die Staatsanwaltschaft Rottweil die rechtlichen Voraussetzungen eines Vergehens der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen für die angezeigte Mitarbeiterin der Unterhaltskasse des Landratsamtes Tuttlingen.

Jugendamt Rottweil: keine Sorgfaltspflichtverletzung

Auch das Ermittlungsverfahren gegen eine Mitarbeiterin des Landratsamtes –Jugendamtes- Rottweil sei gemäß Paragraf 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden, „da eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung durch die Beschuldigte nicht festgestellt werden konnte“. In der Einstellungsverfügung werde ausgeführt, dass dieser aufgrund ihrer Stellung zwar eine sogenannte Garantenstellung zur Gefahrenabwehr zukommt, diese aber ausschließlich auf die Person des Sohnes der Anzeigeerstatterin bezogen ist. Den der Beschuldigten obliegenden Verpflichtungen, die sich aus dem Sozialgesetzbuch VIII ergeben, sei diese jedoch nach den durchgeführten Ermittlungen nachgekommen. Eine Verpflichtung, weitergehende Maßnahmen zu ergreifen, habe nicht bestanden.

„Eine solche wäre nur dann anzunehmen, wenn für die Beschuldigte sowohl objektiv als auch subjektiv erkennbar und naheliegend gewesen wäre, dass unmittelbar und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Rechtsgutverletzung drohen würde. Das Drazen D. tatsächlich entschlossen gewesen war, seinen Sohn zu töten, war nach den Ermittlungen jedoch weder für die beschuldigte Mitarbeiterin des Landratsamtes noch für andere Garanten erkennbar gewesen“, schreibt Grundke weiter.

Schließlich werde in der Einstellungsverfügung auf die nicht feststellbare Kausalität hingewiesen, indem ausgeführt wird, dass selbst bei weiteren Maßnahmen der Beschuldigten nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Tat vom 14. September 2017 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre.

Überlebende meldet sich zu Wort

Die Ex-Ehefrau von Drazen. D, J. B. hat sich am Freitagabend bei der NRWZ gemeldet: „Ich bin schockiert“, sagte sie am Telefon, „das ist nicht normal.“  Sie sei die einzige, die das Geschehen in Villingendorf miterlebt und überlebt habe. „Jetzt sind drei Familien zerstört, und alle haben alles richtig gemacht…“  Wir werden nach einem längeren Gespräch mit J.B. noch ausführlich ihre Sicht der Dinge darstellen.

 

 

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Nach dem Dreifach-Mord in Villingendorf vom September 2017 hatte die Staatsanwaltschaft Rottweil auch gegen vier Polizeibeamte und zwei Mitarbeiter des Landratsamtes Tuttlingen und Rottweil ermittelt. Mehrere Strafanzeigen waren gegen diese erstattet worden. Jetzt teilt Staatsanwalt Frank Grundke mit, dass diese Ermittlungen eingestellt wurden. Die Mutter des getöteten Jungen hat sich bei der NRWZ gemeldet: „Ich werde das nicht hinnehmen.“

In einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft vom Freitagmorgen heißt es:

„Von der Staatsanwaltschaft Rottweil wurden Ermittlungsverfahren gegen vier Polizeibeamte sowie zwei Mitarbeiter des Landratsamtes Rottweil beziehungsweise des Landratsamtes Tuttlingen wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen gemäß Paragraf 170 Abs. 2 StPO eingestellt.“

In der ausführlichen Begründung schreibt Grundke: „Am 14. September 2017 ermordete Drazen D. in Villingendorf seinen 6 Jahre alten Sohn, den neuen Lebensgefährten der Mutter seines Sohnes sowie dessen zu Besuch weilende Cousine. Drazen D. wurde durch Urteil des Landgerichts Rottweil vom 26.06.2018 wegen Mordes in drei Fällen sowie Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil des Landgerichts Rottweil ist rechtskräftig.“

Strafanzeigen als  Ermittlungsanlass

Aufgrund mehrerer Strafanzeigen habe die Staatsanwaltschaft Rottweil Ermittlungsverfahren gegen vier Polizeibeamte, eine Mitarbeiterin des Landratsamtes Tuttlingen sowie eine Mitarbeiterin des Landratsamtes Rottweil wegen möglicher Straftaten, insbesondere wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen geführt. Nach Abschluss der Ermittlungen seien die Verfahren gegen sämtliche Beschuldigte eingestellt worden, „da sich ein hinreichender Verdacht einer strafbaren Handlung nicht ergeben hat“.

Polizeibeamte: Keine Pflichtverletzung

Die Mutter des getöteten Jungen habe in ihrer Anzeige vier Polizeibeamten zur Last gelegt, zum Schutz ihres Sohnes, ihres Lebensgefährten und ihrer eigenen Person gebotene Schutzmaßnahmen pflichtwidrig nicht vorgenommen und dadurch strafrechtlich relevant die Tat vom 14. September 2017 mitverursacht zu haben. Die Ermittlungen hätten ergeben, „dass keinem der angezeigten Polizeibeamten vorgeworfen werden kann, unter Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt gebotene Schutzmaßnahmen unterlassen und dadurch vorhersehbar und vermeidbar die Tat zum Nachteil der drei getöteten Personen ver-ursacht zu haben“.

Dabei gehe die Staatsanwaltschaft Rottweil davon aus, dass den
Polizeibeamten als Bestandteil ihrer Berufspflicht eine Garantenstellung zur Gefahrenabwehr obliege. „Strafprozessuale Maßnahmen, durch welche die Tat hätte verhindert werden können, haben den Beamten jedoch nicht zur Verfügung gestanden, insbesondere hätten vor der Tat die rechtlichen Voraussetzungen für eine Inhaftierung des Beschuldigten wegen der angezeigten Taten der Bedrohung und Sachbeschädigung nicht vorgelegen“ so Grundke.

Eine Sorgfaltspflichtverletzung der Polizeibeamten unter Berücksichtigung der diesen vor dem 14. September 2017 bekannten und erkennbaren Umständen hätte die Statsanwaltschaft nicht festgestellt. Die Polizisten seien verpflichtet gewesen, auf Grundlage der ihnen vorliegenden Erkenntnisse eine mögliche Gefährdung der Anzeigeerstatterin sowie deren Angehöriger zu prüfen und sodann nach pflichtgemäßem Ermessen erforderliche Maßnahmen zu treffen. „Dieser Verpflichtung sind nach den Feststellungen der Staatsanwaltschaft Rottweil die beschuldigten Polizeibeamten nachgekommen.“

Jugendamt Tuttlingen: Drazen D. wußte vorher neue Anschrift

Einer Mitarbeiterin des Jugendamtes des Landratsamtes Tuttlingen wurde laut Grundke vorgeworfen, sie trage eine Mitverantwortung an dem Geschehen, da Drazen D. nach seiner eigenen Aussage die von der Anzeigeerstatterin streng geheim gehaltene neue Anschrift in Villingendorf bei einem Besuch des Jugendamtes in Tuttlingen bekannt geworden sei. „Insoweit wurde das Verfahren aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen eingestellt.“

Nach den Ermittlungen habe nicht nachgewiesen werden können, dass Drazen D. den neuen Wohnort seiner früheren Lebensgefährtin tatsächlich auf dem von ihm behaupteten Weg festgestellt hatte. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass dieser bereits Anfang März 2017 also vor dem von ihm behaupteten Termin beim Landratsamt wusste, wo beziehungsweise in welcher Gemeinde seine frühere Lebensgefährtin wohnt.

Darüber hinaus verneine die Staatsanwaltschaft Rottweil die rechtlichen Voraussetzungen eines Vergehens der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen für die angezeigte Mitarbeiterin der Unterhaltskasse des Landratsamtes Tuttlingen.

Jugendamt Rottweil: keine Sorgfaltspflichtverletzung

Auch das Ermittlungsverfahren gegen eine Mitarbeiterin des Landratsamtes –Jugendamtes- Rottweil sei gemäß Paragraf 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden, „da eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung durch die Beschuldigte nicht festgestellt werden konnte“. In der Einstellungsverfügung werde ausgeführt, dass dieser aufgrund ihrer Stellung zwar eine sogenannte Garantenstellung zur Gefahrenabwehr zukommt, diese aber ausschließlich auf die Person des Sohnes der Anzeigeerstatterin bezogen ist. Den der Beschuldigten obliegenden Verpflichtungen, die sich aus dem Sozialgesetzbuch VIII ergeben, sei diese jedoch nach den durchgeführten Ermittlungen nachgekommen. Eine Verpflichtung, weitergehende Maßnahmen zu ergreifen, habe nicht bestanden.

„Eine solche wäre nur dann anzunehmen, wenn für die Beschuldigte sowohl objektiv als auch subjektiv erkennbar und naheliegend gewesen wäre, dass unmittelbar und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Rechtsgutverletzung drohen würde. Das Drazen D. tatsächlich entschlossen gewesen war, seinen Sohn zu töten, war nach den Ermittlungen jedoch weder für die beschuldigte Mitarbeiterin des Landratsamtes noch für andere Garanten erkennbar gewesen“, schreibt Grundke weiter.

Schließlich werde in der Einstellungsverfügung auf die nicht feststellbare Kausalität hingewiesen, indem ausgeführt wird, dass selbst bei weiteren Maßnahmen der Beschuldigten nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Tat vom 14. September 2017 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre.

Überlebende meldet sich zu Wort

Die Ex-Ehefrau von Drazen. D, J. B. hat sich am Freitagabend bei der NRWZ gemeldet: „Ich bin schockiert“, sagte sie am Telefon, „das ist nicht normal.“  Sie sei die einzige, die das Geschehen in Villingendorf miterlebt und überlebt habe. „Jetzt sind drei Familien zerstört, und alle haben alles richtig gemacht…“  Wir werden nach einem längeren Gespräch mit J.B. noch ausführlich ihre Sicht der Dinge darstellen.

 

 

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NRWZ-Redaktion Schramberg
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