Donnerstag, 28. März 2024

OB Broß: Rottweil soll Corona-Modellkommune werden

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Peter Arnegger (gg)https://www.nrwz.de
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Rottweils Oberbürgermeister Ralf Broß will die (auslaufende) Gunst der Stunde nutzen: Seine Stadt hatte zuletzt die niedrigste 7-Tages-Inzidenz im Land (aktuell: Platz 5). Das und einige weitere Gründe führt der OB in einem Brief an Sozialminister Manne Lucha an. Das Ziel: Rottweil zur Corona-Modellkommune zu machen. Wie Tübingen.

Es gebe eine gute Teststruktur, man kenne sich untereinander und seine Gastronomen, es bestehe Einigkeit der Akteure von Gewerbe- und Handelsverband, Gastronomie und Medizin – das legt Broß in die Waagschale. Er wolle auch nicht um Lockerungen betteln, sondern „verantwortungsbewusst handeln“, so der Rottweiler OB. Es sei an der Zeit, „(a) mit dem Mehr an Wissen über das Virus, (b) mit den inzwischen sehr eingespielten Hygieneregeln und (c) mit dem Mehr an technischen Möglichkeiten wie Tests vorsichtige Versuche zu wagen“, schreibt Broß. Der vierseitige Brief trägt das heutige Datum.

Viele Städte wollen in diesen Tagen dem Tübinger Modell folgen. Dort haben, im Gegensatz zu vielen Regionen im Land, Geschäfte und Gastronomie derzeit geöffnet. Hintergrund ist die Teststrategie. Wer einen tagesaktuellen, negativen Corona-Test vorweisen kann, darf einkaufen gehen. Und in ein Café oder Restaurant.

Broß will das – unter anderem – aus einem einfachen Grund auch für Rottweil: „Menschen benötigen Geselligkeit.“

Broß glaubt zudem, dass sich Rottweil als ländliche Schulstadt durch ihre Teststrategie hervortun könne und „in Bälde eine noch größere Anzahl an Schülerinnen und Schülern wieder gleichzeitig am Präsenzunterricht teilnehmen“ lassen könne. Auch hier bietet er seine Stadt dem Ministerium als modellhaft an.

Die NRWZ bringt Broß‘ Brief im Wortlaut. Er trägt den Titel

Das Land einen Schritt voranbringen

Bewerbung der Stadt Rottweil als Corona-Modellkommune

Sehr geehrter Herr Minister,

die Stadt Rottweil – wie auch die Region – sind sehr gut durch die ersten Phasen der Pandemie gekommen. Auch in den vergangenen Wochen hat sich die Stadt durch hervorragende Inzidenzen ausgezeichnet.

Das Verhalten der Menschen ist geprägt von Vorsicht. Das ist gut und wichtig. Die Akzeptanz meiner Mitbürgerinnen und Mitbürger ist nach wie vor hoch. Die allermeisten halten sich streng an die Vorgaben der Coronaverordnung, aber auch an die flankierenden Empfehlungen. Dennoch schwindet die Akzeptanz seit einigen Wochen fortwährend. Auch in Rottweil gibt es – kleinere zwar – Demonstrationen und manche Bestimmungen erschließen sich den Menschen bisweilen erst auf den zweiten Blick.

Es ist daher an der Zeit, (a) mit dem Mehr an Wissen über das Virus, (b) mit den inzwischen sehr eingespielten Hygieneregeln und (c) mit dem Mehr an technischen Möglichkeiten wie Tests vorsichtige Versuche zu wagen. Mit Interesse haben wir daher die Entwicklungen in Tübingen verfolgt und begrüßen daher den Beschluss der Bundekanzlerin mit den Regierungschefinnen und -chefs der Länder, den Weg für weitere Modellkommunen zu ebnen und die Kommunen stärker in die Bekämpfung der Corona-Pandemie einzubinden.

Dabei sind wir uns der Tragweite bewusst, die – durch so entbehrungsreiche Wochen – hart erarbeiteten Erfolge nicht auf’s Spiel zu setzen. Der Gesundheitsschutz, insbesondere der Kranken, Schwachen und Alten, genießt nach wie vor höchste Priorität. Es geht daher darum, mit großem Bedacht Wege im richtigen Maß zu beschreiten, die bei restriktiver Abwägung aller örtlichen und überörtlichen Besonderheiten gangbar sind.

Mit diesem Schreiben möchte ich Ihnen einen Vorschlag vorlegen, der nicht nur einen unmittelbaren Mehrwert für die Menschen meiner Stadt, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger des Landes bringt.

Zunächst: Die Startvoraussetzungen in Rottweil sind überaus günstig. Die Inzidenz im Landkreis, vor allem aber in der Großen Kreisstadt ist sehr gering (Stand heute: 13 aktive Fälle bei rd. 25.000 Einwohnern). Wir dürften damit eine der rund 100 Großen Kreisstädte mit der geringsten Fallzahl (auch absolut) im gesamten Land sein. Auch im unmittelbaren Umland, das sich sämtlich in unsere Richtung als Mittelzentrum orientiert, sind die Fallzahlen extrem niedrig, teilweise sogar bei null. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund interessant, da Rottweil Schulstadt ist. Bei rund 8.000 Schülerinnen und Schülern pendeln über 50% täglich ein. Die bewusste Betrachtung des Ländlichen Raums – ohne unmittelbare Zugehörigkeit zu einem Einzugsgebiet einer Großstadt – ebenso wie die starke Binnenlage (in Abgrenzung zu Nachbarstaaten mit Grenzpendelverkehren) heben Rottweil im Vergleich zu anderen Raumschaften heraus.

Wir haben es bereits vor einigen Wochen geschafft, eine umfassende kommunale Teststruktur aufzubauen. Nur ein Wert: Von den uns von Ihnen aus Ihrer Notreserve zur Verfügung gestellten rund 12.000 Tests konnten wir binnen drei Wochen rund 6.000 Testungen vornehmen. Dies ist uns durch ein Testkonsortium aus Ärzten, Apothekern, Ehrenamtliche des DRK sowie mobilen Dienstleistern unkompliziert und binnen weniger Tage gelungen. Bei diesen Testkapazitäten – auch das ist ein wichtiger Befund – ist noch deutlich Luft nach oben, sie sind bei weitem nicht ausgeschöpft.

Im Gegenteil: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass eine Vielzahl an Menschen das bereits sehr niederschwellige – weil kostenlos und praktisch immer verfügbare – Angebot noch nicht annimmt. Die Erkenntnis ist deutlich: Es wird der Mehrwert einer Testung für die Mitmenschen und die Gesellschaft nicht oder nicht ausreichend erkannt. Wir sind der festen Überzeugung, dass die Motivation und damit die Testquote deutlich gesteigert wird, wenn ein stärkerer Anreiz („Benefit“) auf einen negativen Test erfolgt.

Mit vielen anderen Experten vertrete ich die Auffassung, dass – solange noch keine flächige Impfung möglich ist – insbesondere das flächige Testen mit das wirksamste Mittel gegen die Ausbreitung des Virus darstellt.

Der Anreiz soll in unserer Stadt sein, mit einem aktuellen negativen Testergebnis die gastronomischen Angebote in der Stadt nutzen zu können.

Das Testen soll nicht lediglich Mittel zur Öffnung der Gastronomie sein.

Umgekehrt: Die Öffnung soll Mittel zum Testen sein!

Rottweil möchte den – jetzt aus den o.g. Gründen zwingenden – nächsten Schritt gehen.

Bei diesem möchten wir uns zunächst bewusst auf das Feld der Gastronomie beschränken. Dies hat mehrere sachliche Gründe:

– Anders als beispielsweise der Einzelhandel kam die Gastronomie bislang noch nicht in den Genuss von Öffnungsmöglichkeiten.

– Es handelt sich um ein überschaubares Feld – wir kennen unsere Gastronomen vor Ort, auch eine flächige Kontrolle ist so zu gewährleisten.

– Die Öffnung der vielen Menschen schmerzlich vermissten Gastronomie wäre ein wichtiges moralisches Signal an die Bevölkerung.

– Anders als andere Bereiche kommt die Gastronomie allen Bevölkerungsschichten, der gesamten Gesellschaft zugute.

– Durch die Beschränkung auf einen Bereich ist sichergestellt, dass die Testkapazitäten auch abgearbeitet werden können. Vollmundige Versprechungen, dies für sämtliche Lebensbereiche abdecken zu können, scheinen zumindest fraglich. In der Pandemie ist das praktisch Realisierbare anzustreben und anzupacken.

– Menschen benötigen Geselligkeit – Es scheint sinnvoll, dies besser in geordneten gastronomischen Strukturen (s. sogleich) zuzulassen, als unreguliert im privaten Raum.

– Und schließlich wollen wir durch ein zu viel an Öffnung im Vergleich zu anderen Kommunen auch einen überbordenden „Freiheitstourismus“ vermeiden. Rottweil ist zwar Tourismusstadt. In Zeiten der Pandemie wäre dieser Ansatz jedoch nicht zielführend.

Sicherlich, es werden auch andere Branchen die Forderung erheben, in das Modell mitaufgenommen zu werden. Wir möchten aus den genannten Gründen aber bewusst einen engen Rahmen stecken und nicht das Kind mit dem Bade ausschütten.

Ja, wir möchten den nächsten Schritt gehen.

Aber – wir möchten auch einen Schritt nach dem anderen gehen.

Wir möchten verantwortungsbewusst handeln und keine populistischen Öffnungsforderungen antragen.

Der bereits angedeutete Vorteil für das Land läge damit auf der Hand. Wie unter einem Brennglas können Schlüsse gezogen werden, welche Effekte die Öffnung einer bestimmten Branche in einem bestimmten Umfeld (Ländlicher Raum) auf den Verlauf und die Ausbreitung der Pandemie hat. Oder vereinfacht formuliert: Ist das Restaurant Treiber der Pandemie?

Mir liegen bereits die Zusagen aller relevanten Akteure vor. Der örtliche Gewerbe- und Handelsverein trägt das Konzept ebenso mit wie die Vertreter der Gastronomie. Sowohl Hauptamt (Kreisärzteschaft und Apotheker) wie auch Ehrenamt, insbesondere das Deutsche Rote Kreuz, dessen Kreisverbandspräsident ich seit mehreren Jahren gerne bin, haben ihre breite Unterstützung zugesagt. Eine sehr kurzfristige Umsetzung wäre daher problemlos möglich. Für diesen Schulterschluss bin ich äußerst dankbar.

Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass neben einer tagesaktuellen negativen Testung selbstredend auch die weiteren Hygienemaßnahmen – analog der bereits zwischen den Wellen geltenden Regelungen – Anwendung finden (Adresshinterlegung zur Kontaktnachverfolgung, Maskenpflicht des Personals, Maskenpflicht der Gäste abseits des eingenommenen Platzes, Desinfektion etc.). Ergänzt wird der Katalog um eine Sperrstunde (24.00 Uhr) sowie eine Testpflicht auch für Mitarbeitende. Um die Schwelle zum Testen noch einmal zu verringern wird es neben den bereits bestehenden Möglichkeiten eine weitere Station inmitten der Fußgängerzone am Alten Rathaus – unweit des Schwarzen Tores – geben, die wettergeschützt ist.

Wir beabsichtigen eine umfassende Auswertung der jeweiligen Frequenzen (Testung und Restaurants), einschließlich einer separaten Darstellung der Infektionen mit Verbindung zu Gastronomie.

Neben dem Punkt der Gastronomie möchten wir das Land, vertreten durch Sozial- und Kultusministerium auch im Bereich des Schulwesens modellhaft unterstützen. Durch die eingangs erwähnte Eigenschaft als Schulstadt – im Ländlichen Raum – lassen sich hier dezidierte Auswertungen vornehmen, die für viele vergleichbare Fälle von Interesse sein dürften. Durch die jetzt – bei uns bereits seit Wochen durchgeführten – Tests ab 12. April 2021 (2 x wöchentlich) gehen wir davon aus, dass in Bälde eine noch größere Anzahl an Schülerinnen und Schülern wieder gleichzeitig am Präsenzunterricht teilnehmen werden können. Insbesondere durch den hohen Anteil an auswärtigen Schülerinnen und Schüler aus umliegenden Gemeinden können wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden. Wie verhält sich das Ansteckungsrisiko auf dem Weg zu Schule (ÖPNV; individuelle Anfahrt)? Wie verhält es sich im Schulgebäude und wie im Klassenverbund? Wir bieten an, ein regelmäßiges Monitoring durchzuführen und die Ergebnisse zur weiteren Verwendung zur Verfügung zu stellen.

Erweiterungen und Anpassungen des Konzeptes prüfen wir gerne. Hier sind wir für Hinweise sehr dankbar.

Sehr geehrter Herr Minister Lucha, die Stadt Rottweil hat mit der Übernahme der Ausrichtung der Landesgartenschau 2028 oder mit dem Standort einer neuen Justizvollzugsanstalt bereits in der Vergangenheit und Gegenwart Verantwortung für das Land übernommen. Diese Verantwortung übernehmen wir auch gerne heute mit der für Sie gewohnten Verlässlichkeit.

Wir würden uns daher sehr freuen, wenn Sie uns kurzfristig ein entsprechendes Mandat erteilen würden!

Mit freundlichen Grüßen

Ralf Broß

Oberbürgermeister

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2 Kommentare

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SK
2 Jahre her

„Sehr geehrter Herr Minister Lucha, die Stadt Rottweil hat mit der Übernahme der Ausrichtung der Landesgartenschau 2028 oder mit dem Standort einer neuen Justizvollzugsanstalt bereits in der Vergangenheit und Gegenwart Verantwortung für das Land übernommen. Diese Verantwortung übernehmen wir auch gerne heute mit der für Sie gewohnten Verlässlichkeit.“

Vor 7 Wochen war das mit Verantwortung und Verlässlichkeit noch etwas weithin. Immerhin gab es 30 unbelehrbare und die Stadt hat den Narrensprung mehr oder weniger geduldet. War nicht die Beste Werbung für das was jetzt kommen soll…

Andrea Barth
3 Jahre her

Wahnsinn, dafür muss man sich bewerben!!! Mir fehlen die Worte

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